Blinde Seele: Thriller (German Edition)
am Empfang des Hotels begrüßte, wartete dort ein Strauß großer pinkfarbener Rosen auf sie.
»Wie schön«, sagte Grace.
Bis sie die Nachricht auf der Karte sah: »Mit meiner unsterblichen Dankbarkeit. Thomas Chauvin.«
»Sie haben einen Verehrer«, bemerkte Natalie Gérard, die französische Lehrerin.
Grace lächelte nur und bat die Empfangsangestellte, den Strauß für sie aufzuheben.
»Ich nehme an, die Blumen sind nicht von Ihrem Mann, oder?«, hakte Natalie nach.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Grace.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Ihnen am letzten Abend vor Ihrem Rückflug noch Blumen schickt«, erwiderte Natalie.
»Also, wenn ich das Glück hätte, mit Dr. Lucca verheiratet zu sein«, warf Stefan Mainz ein, »würde ich ihr morgens, mittags und abends Rosen schicken.«
Grace lachte. »Oh, danke sehr!« Dann wechselte sie das Thema. »Wollen wir zuerst einen Drink nehmen oder gleich ins Restaurant durchgehen?«
»Ich bin am Verhungern«, sagte Natalie.
»Dann lasst uns essen, Leute.«
*
Um kurz nach zehn machten Grace’ Gäste sich auf den Heimweg. Das Dinner war unterhaltsam gewesen, aber im Lauf des Abends waren ihre Gedanken immer wieder abgeschweift. Die Befürchtung, Thomas Chauvin könne persönlich auftauchen – was äußerst peinlich gewesen wäre –, hatte sie nicht mehr losgelassen.
Wieder hatte Grace sich die Frage gestellt, ob er den »Unfall« auf den Straßenbahngleisen vielleicht inszeniert hatte. Sie wusste, dass dieser Gedanke absurd war, aber es war schon seltsam gewesen, dass mit seinem Bein nur wenige Augenblicke später alles wieder in Ordnung war. Es verunsicherte sie ein bisschen, dass sie diesen Verdacht Sam gegenüber nicht erwähnt hatte, aber sie hatte es nur deshalb nicht getan, weil es völliger Unsinn war. Sie hätte Sam unnötig beunruhigt.
»Vergessen Sie Ihren Blumenstrauß nicht«, hatte Natalie sie am Empfang erinnert.
Jetzt fragte sich Grace, warum sie ihren Gästen nicht von ihren Begegnungen mit Thomas Chauvin erzählt hatte. Was wäre schon dabei gewesen? Es war ja nichts passiert.
Das Bedürfnis nach Privatsphäre, nahm sie an.
Jedenfalls war er zu Grace’ Erleichterung nicht im Hotel aufgetaucht. Sie nahm an, dass die Blumen nur eine Geste der Dankbarkeit waren.
Egal. Morgen würde sie endlich nach Hause fliegen.
32.
Felicia Delgado war um kurz nach vierzehn Uhr gefunden worden, unweit der 80. Straße am Strand.
Mit Blutflecken auf der Schuluniform.
Sam und Martinez waren noch immer mit ihrem Vater im Wohnzimmer seiner Exfrau, als die Nachricht kam, dass das Mädchen in Sicherheit sei.
»Gott sei Dank«, stieß Delgado hervor. »Wie geht es ihr?«
»Offenbar ist sie unverletzt«, sagte Sam.
»Und wo ist sie jetzt?«
»Sie ist verwirrt, deshalb wurde sie vorsichtshalber ins Krankenhaus gebracht.«
»Wissen Sie schon, ob Felicia die Leiche ihrer Mutter gesehen hat?«
»Das wissen wir noch nicht, Sir«, sagte Sam.
»Darf ich zu ihr ins Krankenhaus?«
»Sicher«, sagte Sam. »Wir müssen ohnehin mit ihr sprechen, falls die Ärzte es erlauben.«
*
Um halb sechs Uhr abends warteten Sam und Martinez im Miami General Hospital noch immer darauf, mit Felicia sprechen zu können. Ihr Arzt hatte erklärt, dass sie körperlich unversehrt sei, aber unter schwerem Schock stehe.
Ihr Vater saß jetzt an ihrem Bett, aber Felicia hatte weder mit ihm noch mit irgendjemandem sonst gesprochen.
Ihr Zustand sprach dafür, dass sie den Leichnam ihrer Mutter gefunden hatte.
Obwohl man, bis sie etwas sagte, unmöglich wissen konnte, ob sie vielleicht irgendetwas noch Entsetzlicheres gesehen hatte.
Irgend jemanden .
Nach allem, was sie bisher wussten, war Felicia möglicherweise die erste bekannte Zeugin von Black Hole.
Joe Duval vom Florida Department of Law Enforcement und die Ermittlerteams anderer Behörden standen bereit.
»Wir müssen behutsam vorgehen«, hatte Sam zu Duval gesagt. »In der Zwischenzeit würde ich gern das Zimmer des Mädchens bewachen lassen.«
Duval hatte genickt. »Ich kümmere mich darum.«
Als man Felicia aufgefunden hatte, trug sie noch immer ihre große schwarze Sonnenbrille. Dem Klinikpersonal zufolge war sie aggressiv geworden, sobald jemand versucht hatte, ihr die Brille abzunehmen – was Carlos Delgados Aussage Glaubwürdigkeit verlieh, seine Tochter leide an einer Phobie, die sie mit ihrer ermordeten Mutter gemeinsam gehabt habe.
Beim Anblick der Sonnenbrille war Sam ein Schauder über den Rücken
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