Blinde Seele: Thriller (German Edition)
auslöste.
In der Pause kam sie auf Sam zu.
»Das habe ich dir zu verdanken«, sagte sie. »Du hast mir so geholfen.«
»Ich habe gar nichts getan«, sagte er. »Das warst du ganz allein.«
»Das stimmt absolut nicht.« Billie sah sich um. »Sam, können wir reden?«
»Gute Arbeit, Billie.« Linda Morrison trat von hinten an sie heran, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, klatschte in die Hände. »Drei Minuten, Leute. Billie, atme nicht einmal zu nah bei Carla oder Jack. Sie schwören beide, dass sie sich eine Grippe eingefangen haben.«
*
Es war spät geworden, als an diesem Abend die Probe endete.
Sam sah, dass Billie wieder auf ihn zukam, nahm an, dass Flucht vielleicht die beste Taktik war, stopfte sein Libretto in seine Aktentasche und sah sich nach Linda um.
»Ich muss los«, rief er ihr zu.
»Üben, üben, üben, großer Junge«, rief sie zurück.
Sam warf ihr eine Kusshand zu, winkte Billie freundlich zu und eilte zu seinem Wagen.
Er sah nicht mehr zurück, bis er in seinem Saab saß und den Motor angelassen hatte. Dann bemerkte er im Rückspiegel, dass sie auf halbem Weg zu ihm war, ihm hinterherwinkte, ihm etwas zurief.
Er dachte an seinen alten Freund, ihren Vater, und hatte ein schlechtes Gewissen.
Er hoffte, dass Billie keinen Ärger hatte.
Das Klingeln seines iPhones riss Sam aus seinen Gedanken.
Es war Joe Duval.
Er sagte nur: »Wir haben wieder eine.«
*
Sam und Martinez trafen fast zur selben Zeit am Tatort ein.
Das Opfer war wieder eine junge Frau, die allein lebte, diesmal in North Miami Beach.
Ihre Mutter hatte die Leiche gefunden.
Es war ein unerträglicher Anblick, noch schlimmer als bei den anderen, da es länger gedauert hatte, bis die Leiche entdeckt worden war.
Der Name des Opfers war Zoë Fox, fünfundzwanzig. Fotos und die entsetzten Nachbarn bestätigten, dass sie bildhübsch gewesen war, lebensfroh, abenteuerlustig, ein entzückendes Wesen. Die Männer hatten Schlange gestanden.
Und jetzt war das alles auf grauenhafte Weise zerstört worden, genau wie bei den anderen Opfern.
Mit einem Unterschied: Diesmal bedeckte eine Zorromaske, deren Augenschlitze mit schwarzem Klebeband abgedeckt waren, das Grauen.
Es war unmöglich zu sagen, wie viele Einzel- oder Onlinehändler diese Masken verkauften, es sei denn, man fand einen Herstellercode oder ein anderes eindeutiges Kennzeichen.
Es war unmöglich, die Mutter des Opfers zu fragen, ob die Maske ihrer Tochter gehört hatte. Die arme Frau hatte vorübergehend den Verstand verloren.
»Aber es gibt doch etwas«, sagte Joe Duval zu den beiden Detectives. »Vielleicht hilft es uns ja nicht weiter, aber auf dem Sicherheitsausweis in ihrer Handtasche steht, dass Miss Fox für Shade City in der Aventura Mall gearbeitet hat.« Er hielt einen Moment inne. »Die verkaufen Sonnenbrillen.«
Vielleicht war das etwas.
Zoë Fox hatte in der Stadt North Miami Beach gelebt und war dort gestorben.
Nicht Sams und Martinez’ Fall.
Aber damit fühlten die beiden sich auch nicht besser.
Und bis Sam wieder in seinen Wagen stieg, um nach Hause zu fahren, hatten sein Magen und sein Herz sich vor Schmerz verkrampft.
Und vor einer Wahnsinnswut über eine solche Vergeudung.
Eine solch kranke, abscheuliche Ver ge u d un g.
47.
17. Mai
In der Lektüre des Doktors ging es heute Abend, wieder einmal, um das Auge. Insbesondere um die macula lutea , jenen kleinen, gelblichen Bereich der Netzhaut in der Nähe der Sehnervenscheibe, der dem Menschen das zentrale Sehen ermöglichte.
Ein winziges Wunder, in der Mitte mit einer Vertiefung, fovea genannt, die die als Zapfen bekannten Nervenzellen enthielt, die für das Farbensehen und die Wahrnehmung von Details zuständig waren.
Er hatte das alles öfter gelesen, als er zählen könnte. Über das Wunder des perfekten Sehvermögens und über die Störungen, Unfälle und degenerativen Erkrankungen, die diese Perfektion beeinträchtigen oder zerstören konnten.
Manche brachten Dunkelheit, wo einmal Licht gewesen war.
Manchmal langsam, wie eine Sonnenfinsternis, manchmal erschreckend schnell, wie bei einer zerplatzenden Glühbirne.
Und dann brauchte man neue Wunder.
Wunder der Medizin.
Herbeigeführt von Wissenschaftlern und Ärzten.
Gelehrten Leuten.
Den Guten und Großen.
Wie er einer war.
Er würde immer lesen, studieren, weiterlernen, ganz gleich, wie vollständig sein Wissen oder wie ausgefeilt sein Geschick auch waren. Er wusste, dass es immer Raum für Verbesserungen geben würde,
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