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Blinde Seele: Thriller (German Edition)

Blinde Seele: Thriller (German Edition)

Titel: Blinde Seele: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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nicht vor«, erwiderte er.
    Und schon war er zur Tür hinaus.
    »O gütiger Gott«, sagte Mildred leise.

111.
    Sie hatten auf einer Farm in Süd-Louisiana gelebt – ein verwitweter Vater und seine beiden Töchter. Sie hatten hauptsächlich Sojabohnen und Mais angebaut. Ihr Leben war glücklich und zufrieden verlaufen.
    Jedenfalls für Außenstehende.
    Dann Jacques Grand – »Jake« für seine Freunde –, ein attraktiver, kräftiger Farmer, hatte seine ältere Tochter Antoinette, kurz »Toni«, jahrelang und ohne Skrupel oder Schuldgefühle sexuell missbraucht. Bis zum Herbst 1987, als Toni zehn Jahre alt war. Eine Stunde nachdem Jake sie einmal zu oft vergewaltigt hatte, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und suchte nach ihm. Sie fand ihn in einer der Scheunen. Und dort drohte sie Jake, wenn er sie je wieder anfassen sollte, würde sie ihren Lehrern sagen, was er mit ihr anstellte.
    Toni hatte nicht gesehen, dass Katherine, ihre achtjährige Schwester, hinter ihr in die Scheune gekommen war.
    Sie hatte auch nicht mitbekommen, dass Kate jedes Wort gehört hatte.
    Kate, die ihren Vater abgöttisch liebte.
    Jake flippte aus. Er nannte Toni eine verlogene Schlampe und dreckige Hure und warf mit einer Heugabel nach ihr.
    Toni duckte sich gedankenschnell. Die tödliche Waffe flog über ihren Kopf hinweg und durchbohrte Kates linkes Auge.
    Im örtlichen Krankenhaus sagte Jake, Kate sei gestolpert und auf die Heugabel gefallen. Toni, die all ihren Mut aufgebraucht hatte, widersprach ihm nicht. Schließlich hatte die Heugabel ihr gegolten, und wenn sie sich nicht geduckt hätte, wäre ihrer kleinen Schwester diese schreckliche Geschichte nicht passiert.
    Kate hatte die Sehkraft auf dem linken Auge verloren. Und da sie auf dem rechten Auge stark kurzsichtig war, war sie von nun an schwer sehbehindert. Eine Brille war unerlässlich, aber damit hatte Kate sich nie anfreunden können. Und jetzt, wo sie ohne Brille praktisch blind war, hasste Kate sie mehr als je zuvor und verlor oder zerbrach sie absichtlich immer wieder. Ein Optiker schlug eine Kontaktlinse vor, aber Kate sagte, sie würde ihr wehtun, und weinte, als sie die Linse einsetzen sollte. Dann riss sie sie heraus und trampelte darauf herum.
    »Es tut mir leid, Schatz, es tut mir schrecklich leid«, sagte Jake immer wieder zu ihr, von Schuldgefühlen geplagt nach dem, was er ihr angetan hatte.
    »Schon gut, Papa«, sagte Kate dann jedes Mal. »Es war Tonis Schuld, nicht deine.«
    Danach hatte Jake Toni eine Zeit lang in Ruhe gelassen, und soviel Toni wusste, hatte er Kate nie auch nur ein Haar gekrümmt. Aber ihre jüngere Schwester schien ein sexuelles Bewusstsein entwickelt zu haben, und als der Tag kam, an dem Jake seine jüngere Tochter beim Masturbieren ertappte, schrie er sie an und sagte ihr, sie sei eine Hure, genau wie ihre Schwester.
    Danach begannen die Prügel.
    Aber immer war es Toni, die bestraft wurde.
    »Wenn du nicht wärst, du Miststück«, schrie Jake sie an, »hätte dein Schwester noch ihr Augenlicht! Ohne dich wäre sie anständig geblieben!«
    Kate wusste das alles. Immer wieder hörte sie die Schmerzens- und Angstschreie ihrer Schwester. Aber da sie nichts dagegen tun konnte – und da sie glaubte, ihr Vater habe recht, dass alles Tonis Schuld sei –, protestierte sie nie. Zumal Jake noch immer alles für sie tat. Er war und blieb für Kate der perfekte Daddy.
    Und dann, eines Tages im Jahr 1992, hielt Toni es nicht mehr aus.

*
    »Es war während Andrew«, sagte sie jetzt, fast zwanzig Jahre später.
    Sam brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie vom Hurrikan Andrew sprach, von dem Louisiana heimgesucht worden war, nachdem er Florida verwüstet hatte. Er war dermaßen gebannt von Tonis Erzählung, dass er fast hätte vergessen können, dass eine Waffe auf ihn gerichtet war.
    1992. Toni musste damals fünfzehn gewesen sein, Kate dreizehn.
    »Jake hatte zwei Waffen«, sagte Toni. »Eine alte Remington-Pumpgun und seine Colt-Pistole.«
    »Die hier«, sagte Kate.
    Es war das erste Mal, dass sie das Wort ergriff, seit Toni mit ihrer Erzählung begonnen hatte, aber jetzt baute sich eine gewisse Anspannung in ihr auf. Sam konnte sie beinahe spüren.
    Während Toni, die Geschichtenerzählerin, völlig ruhig schien.
    Im Auge ihres eigenen Sturms.
    »Papa hatte mich an jenem Morgen völlig grundlos verprügelt.« Sie schüttelte den Kopf, und ihre dunklen Augen blickten ins Leere. »Wegen des Wetters fühlte ich mich irgendwie seltsam. Auf

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