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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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halb elf, da schlief sie noch nicht, und falls sie nicht gerade mit Freunden unterwegs war, würde sie sicher …
    «Katrin? Hallo, Beatrice hier. Sag mal, könntest du kurz rüberkommen? Ich muss weg, ein Notfall.»
    «Klar.» Das Mädchen hörte sich munter an, fröhlich. Sie war nur geringfügig jünger als Ira, aber meine Güte, was für ein Unterschied.
    «Die Kinder schlafen schon. Du müsstest nur hierbleiben für den Fall, dass eines von ihnen aufwacht. Kann sein, dass ich die ganze Nacht wegbleibe –»
    «– dann schlafe ich auf der Couch», beendete Katrin Beatrices Satz. «Kein Problem. In zwei Minuten bin ich da.»
    Als es leise an der Tür klopfte, war Beatrice schon in Schuhen und Jacke. «Ich danke dir», sagte sie herzlich, klemmte sich das Notebook unter den Arm und lief die Treppen hinunter.
    Bevor sie das Auto startete, schickte sie in Tina Herberts Namen noch eine weitere Nachricht an Ira in den Äther.
    «Melde dich. Bitte! Mir liegt viel an dir.»
    Falls Ira es las, beeindruckte es sie nicht ausreichend, um der Aufforderung nachzukommen. Das war zu erwarten gewesen.
    Der aufgeklappte Rechner erwies sich als schlechter Beifahrer, denn Beatrice konnte kaum die Augen von ihm lassen. Ira musste den ihren ebenfalls dabeihaben, wo immer sie auch war.
    Schluss jetzt. Auf den Straßenverkehr konzentrieren. Wenn sie schon die Busspur befuhr und die Ampelfarben zu ihren Gunsten auslegte, musste sie wenigstens sehen, was sie tat.
    Zwölf Minuten nach ihrem Aufbruch parkte Beatrice vor Ira Sagmeisters Haus ein. Die Eingangstür stand offen, und im ersten Stock wartete bereits Florin.
    «Wir sind keinen Schritt weitergekommen.» Er ließ ihr den Vortritt in die Wohnung, die deutlich unordentlicher wirkte als beim letzten Mal. Ein überstürzter Aufbruch? Oder hatte jemand hier herumgewühlt, auf der Suche nach … ja, wonach?
    «Stefan ist im Haus unterwegs und versucht herauszufinden, ob jemand gesehen hat, wie Ira fortgegangen ist, und wenn ja, wann. Wir haben die Handynummer und versuchen, das Gerät zu orten, aber du weißt ja.»
    Sie wusste. Das dauerte seine Zeit. Beatrice setzte sich auf den Stuhl, auf dem sie das letzte Mal gesessen hatte. Vielleicht wanderte Ira nur durch die Stadt und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht saß sie in einem Lokal und erhöhte gemeinsam mit ein paar anderen depressiv gestimmten Jugendlichen den Alkoholspiegel in ihrem Blut.
    Vielleicht – und auch das durften sie nicht ausschließen – war das ganze düstere Zeug ihre Masche, die ihr heute Abend endlich die Aufmerksamkeit verschafft hatte, die sie sich seit Jahren wünschte. Alles möglich.
    Jemand betrat den Raum und riss Beatrice aus ihren Gedanken. Stefan, mit zwei Stücken Apfelkuchen in der Hand und einem verlegenen Ausdruck im Gesicht.
    «Hat einer von euch Hunger?»
    Oh Gott, nein. Beatrice schüttelte den Kopf. «Wo hast du das denn her?»
    «Von Frau Roschauer aus dem zweiten Stock. Sie ist mindestens neunzig Jahre alt, ihr Mann ist im Krieg gefallen, und sie hat heute gebacken. Ich erinnere sie an ihren mittleren Sohn, der auch rote Haare hatte, bevor sie ihm ausgefallen sind.» Stefan hob gleichzeitig Schultern und Mundwinkel. «Das alles hat sie mir freudig und ausschweifend erzählt, aber wann Ira gegangen ist, wusste sie leider nicht. Dabei ist sie der Prototyp einer Hausüberwachungsoma.»
    Er legte den Kuchen, den Frau Roschauer in geblümte Servietten gebettet hatte, auf den Couchtisch. «Die anderen Leute im Haus wissen leider auch nichts. Sie sagen, Ira sei meistens mit dem Fahrrad unterwegs, ein Auto habe sie nicht. Ihr Rad sollte im Keller stehen, es ist hellgrün und hat einen weißen Sattel. Willst du wirklich keinen Kuchen? Er ist sensationell. Ich habe schon zwei Stück intus, aber ich esse die da auch noch, wenn niemand sonst sie will.»
    Beatrice winkte ab. «Hat Frau Roschauer dir den Kellerschlüssel gegeben?»
    «Nein, aber Frau Kächl. Hier.»
    Beatrice nahm immer zwei Treppenstufen auf einmal. Das Gefühl, dass Eile geboten war, hatte sie nach wie vor nicht abschütteln können.
    Da war das Fahrrad. Lindgrün, weißer Sattel mit deutlichen Gebrauchsspuren. Um die Griffe der Lenkstange waren Zopfgummis gezurrt. Wahrscheinlich band Ira sich einen Pferdeschwanz, wenn sie mit dem Rad fuhr.
    «Sie muss zu Fuß unterwegs sein», erklärte Beatrice dem kuchenessenden Florin, als sie zurück in die Wohnung kam. «Zu Fuß, aber mit ihrem Notebook. Oder jemand hat sie

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