Blinde Voegel
Snickers kaufte, beides an einem Stehtischchen aß, das aufgeklappte Notebook vor sich. Spontan fiel Beatrice zwar kein einziger Imbiss ein, der Pasta im Angebot hatte, aber das musste nichts heißen.
Dritte Möglichkeit: Ira war bekocht worden, war einer Einladung gefolgt. Das verlieh ihren Postings ein ganz neues Gesicht. Sie hätte mit ihrem Gastgeber oder ihrer Gastgeberin am Tisch gesessen, beider Blicke wären auf den Bildschirm gerichtet, während sie aßen und sich über die Reaktionen der Gruppe amüsierten … nicht schlecht. Doch dann war etwas passiert, und Iras Leben hatte auf den Gleisen geendet.
Die ganz grundsätzliche Frage aber war …
«Wir müssen herausfinden, ob Ira ihre letzten Stunden allein verbracht hat. Bechner soll die Italiener in Parsch abklappern und prüfen, ob Ira am Abend ihres Todes dort gesehen worden ist. Jeder Imbiss, der Spinatcannelloni anbietet, kommt genauso in Frage.»
«Bechner wird uns Zyankali in den Kaffee mischen.»
«Egal. Wenn wir den Ort finden, an dem Ira gegessen hat, wissen wir auch, ob sie Gesellschaft hatte.»
Florin überlegte einen Moment. «Unter diesen Umständen», sagte er, «wäre es wohl besser, wir nehmen die Presse mit ins Boot und fragen die Leser, ob sie Ira am Abend ihres Todes gesehen haben. Mit ihrem Foto in der Zeitung und im Internet steigen die Chancen, dass jemand sich an sie erinnert. Und an ihre Cannelloni.»
Helen Crontaler Es ist doch wahr, jetzt haben wir die traurige Gewissheit. Mein Gott, warum nur? R. I. P., Ira.
Sie hatte die Todesanzeige aus der Zeitung eingescannt und das Bild zu ihrem Beitrag gestellt. Wenn man es anklickte und vergrößerte, konnte man den Text problemlos lesen.
Die Bande der Liebe werden mit dem Tod nicht durchgeschnitten.
Diese Zeile hatte auch Nikola DVD sofort zitiert und hinzugefügt: «Das ist schmerzhaft und wahr. Der Tod lässt die Lebenden mit all ihren Gefühlen zurück, auch wenn sie von nun an ins Leere verströmen müssen.»
Die Wortwahl passte so gar nicht zu dem frechen Zahnlückenmädchen auf dem Profilfoto. Unwillkürlich musste Beatrice an Mina denken – unvorstellbar, dass sie eines Tages auch solche Sätze drechseln würde. Sie schob den Gedanken beiseite. Für Privates war jetzt nicht der Zeitpunkt.
Phil Anthrop Oh nein, bitte nicht! Das ist so furchtbar.
Werner Austerer Ich melde mich sonst nur selten zu Wort, aber jetzt muss ich es tun. Ich bin erschüttert. Arme Ira, warum hast du nicht mit uns gesprochen!
Oliver Hegenloh Ich habe es befürchtet. Ira, wo du auch bist: Wir werden dich nicht vergessen. Was für eine Verschwendung.
Ren Ate Ich fasse es nicht. Heute brennt hier eine Kerze für Ira. Wie verzweifelt sie gewesen sein muss.
Christiane Zach Mir fehlen die Worte. Ira, wir werden dich vermissen!
Dominik Ehrmann Was für eine Katastrophe. Ich will und kann es nicht glauben. Aber ich wünsche ihr, dass sie nun von den Dämonen befreit ist, die sie verfolgt haben.
Christiane Zach Fällt euch auf, dass es schon das zweite Gruppenmitglied aus Salzburg trifft? In so kurzer Zeit! Ich könnte beinahe Angst bekommen …
Marja Keller Ich melde mich ab. Das hätte ich gleich machen sollen. Verzeiht mir, aber ich ertrage es nicht mehr. Ira, ich denke an dich, ich hätte dich gern persönlich gekannt.
Irena Barić Marja, wir sollten zusammenhalten. Wenn du bleibst, sin wir für dich da!
Ivonne Bauer Auch ich zünde eine Kerze für Ira an. Es ist ein schwarzer Tag heute.
In dem Tenor ging es weiter. Siebenundfünfzig Kommentare waren bisher auf Crontalers Beitrag gefolgt, darunter zahlreiche Bilder von Kerzen und Sonnenuntergängen. Nikola DVD postete in ihrem zweiten Kommentar ein Tierbild: die schwarze Silhouette einer Katze, die sich vor einem nachtblauen Hintergrund abzeichnete.
Beatrice war gerade dabei, die Seite auszudrucken, als ihr Telefon läutete.
«Kaspary.»
«Hier spricht Crontaler.» Eine männliche Stimme. «Peter Crontaler. Wir kennen uns, Sie waren vor ein paar Tagen bei meiner Frau.»
Der Germanistikprofessor. «Natürlich. Was kann ich für Sie tun?»
«Wissen Sie, meine Frau … quält sich.» Er seufzte, als wäre es ihm unangenehm. Wie ein Vater, der bei der Lehrerin um Verständnis für sein verhaltensauffälliges Kind wirbt. «Wir haben heute in der Tageszeitung die Todesanzeige von Ira Sagmeister gefunden. Helen war völlig verstört, sie macht sich nun Vorwürfe und malt sich die furchtbarsten Dinge aus.»
Beatrice ahnte, worauf es hinauslaufen
Weitere Kostenlose Bücher