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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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gekaut, ein paar von den Erdnüssen könnte man als neu verkaufen. Ich tippe darauf, dass ihr letztes Abendmahl etwa zwei Stunden vor ihrem Tod stattgefunden hat. Höchstens drei.»
    «Okay.» Beatrice ignorierte das Rascheln am anderen Ende der Leitung, so gut es ging. Wenn Vogt jetzt zu essen anfangen sollte, würde sie sich direkt auf den Schreibtisch erbrechen. «Was noch?»
    «Na ja.» Er zögerte untypisch lange. «Es gibt einen Kratzer am linken Unterarm, nicht sehr tief, aber vierzehn Zentimeter lang. Ich will Sie nicht mit enzymhistochemischen Details verwirren, lassen wir es dabei, dass die exsudative Phase eingesetzt hatte und sich außerdem bereits Anzeichen eines leichten Wundödems zeigen.»
    «Sie meinen, der Kratzer hat begonnen zu heilen.»
    «Ja. Er hatte aber nicht mehr viel Zeit dafür. Trotzdem ist er mit Sicherheit vor Sagmeisters Begegnung mit der Lok entstanden. Das Mädchen hat sich außerdem sehr fest auf die Zunge gebissen, und auch die hatte noch Gelegenheit, ein wenig anzuschwellen.»
    Beatrice stieß lautstark den Atem aus. «Ist ja interessant, vielen Dank.»
    «Ist trotzdem nur ein Strohhalm. Sie könnte sich an einem Dornenstrauch gekratzt haben. Manchmal beißt man sich auf die Zunge, wenn man stolpert. Sehr aussagekräftig ist es nicht, was ich Ihnen zu bieten habe.»
    «Auf jeden Fall danke.»
    «Die Toxikologie braucht noch ein bisschen, aber Alkohol hatte sie keinen im Blut. Sex hat sie in den letzten achtundvierzig bis zweiundsiebzig Stunden auch nicht gehabt. Der Rest folgt, wenn ich so weit bin.»
    Er hatte schon aufgelegt, aber Beatrice hielt den Hörer noch immer in der Hand, gedankenverloren.
    «Würdest du zwei Stunden bevor du dich vor den Zug wirfst, Cannelloni mit Spinat und ein Snickers essen?»
    Florin hatte das Gespräch mit einem Ohr verfolgt und dabei seine eingegangenen Mails gecheckt. Jetzt drehte er sich ganz zu Beatrice herum. «Zwei Stunden vorher, sagst du? Ich weiß nicht. Merkwürdige Wahl für eine bewusst gewählte Henkersmahlzeit. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, ob es üblich ist, vor einem Selbstmord zu essen. Ich persönlich würde meinen, man hat in dieser Situation keinen Appetit.»
    Der Telefonhörer in ihrer Hand gab ein vernehmliches Besetztzeichen von sich, und Beatrice legte ihn zurück auf die Gabel. «Sehe ich ähnlich, wobei wahrscheinlich jeder anders empfindet. Es bedeutet aber ganz sicher, dass ihre letzte Mahlzeit und ihre Verabschiedung auf Facebook zeitlich nah beieinanderlagen.»
    Mit wenig Hoffnung auf Erfolg kramte Beatrice in einem der Papierstapel, die sich vor ihr auf dem Schreibtisch türmten. «Hast du eine Ahnung, wo der Bericht der Spurensicherung ist? Der zu Sagmeisters Wohnung?»
    Ein gezielter Griff, und Florin hatte das Gesuchte in der Hand. «Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst. Nein, da steht nichts von Tellern mit Essensresten. Sie könnte natürlich saubergemacht haben …»
    «Und hat sich nach dem Abwasch vor den Zug geworfen? Im Ernst?» Aber das war kein Argument, das wusste Beatrice selbst. Jeder Mensch war anders, und für manche mochte es richtig und wichtig sein, in der Küche Ordnung zu schaffen, bevor sie ihrem Leben ein Ende setzten.
    «Okay. Ist die Cannelloniverpackung im Müll gefunden worden? Oder welke Spinatblätter? Irgendein Hinweis darauf, dass sie gekocht hat?»
    Florin blätterte, las, schüttelte den Kopf. «Nein. Auch keine Snickersverpackung.»
    «Dann war Ira den ganzen Abend über nicht zu Hause.» Beatrice schloss die Augen, wog mögliche Szenarien gegeneinander ab. Sah Ira Sagmeister vor sich, in einem Lokal – einer Pizzeria vermutlich, mit dem Notebook auf dem Tisch. Erst las sie die Speisekarte, bestellte und aß in aller Ruhe. Dann tippte sie Falkes Gedicht «Wenn ich sterbe» in das Facebook-Textfeld.
Legt rote Rosen mir um meine Stirne,
im Festgewande will ich von euch gehn,
und stoßt die Fenster auf, dass die Gestirne
mit heiterm Lächeln auf mein Lager sehn.
    Vorstellbar? Ja, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. Sie schrieb, las die Antworten und bereitete sich auf ihren Tod vor. Chattete mit Beatrice, die ihr einzureden versuchte, dass sie etwas wusste, etwas Wichtiges … lehnte das Treffen am Residenzbrunnen ab. Dann ist es zu spät. Du kannst mich mal.
    Das Snickers passte nicht ins Bild, aber vielleicht hatte Ira es bei sich gehabt oder später an einer Tankstelle gekauft. Oder …
    Neues Szenario. Ein Imbissstand, bei dem Ira sich Cannelloni und ein

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