Blinde Wahrheit
mit niemandem darüber sprechen. Er war nicht ganz sicher, ob es außer ihm überhaupt jemand bemerkt hatte.
Er drehte sich um und betrachtete die Gesichter seines Teams.
Traurigerweise gehörte eines davon Prather. Nielson war keine andere Wahl geblieben – den Deputy nicht mit ins Team zu nehmen, hätte Ärger gegeben, schließlich war dieser derjenige, der die Leiche gefunden hatte.
Nielson hoffte bloß, dass die Arbeit mit diesem Schwachkopf nicht zu noch viel größerem Ärger führen würde.
»Also, machen wir uns daran, Miss Jolene zu Gerechtigkeit zu verhelfen«, sagte er mit einem letzten kurzen Blick auf ihre freudestrahlenden braunen Augen, bevor er sich über seine Unterlagen beugte.
»Mist, das Geschäft läuft echt zäh«, brummte Roz.
Lena ließ den Kopf kreisen und wimmerte leise, als es knackte. »Das wird schon. Hab noch ein paar Tage Geduld.« Sie schnitt eine Grimasse. »Das ist eben eine … ungewohnte … Situation für Ash. Das Schlimmste, was die Leute hier zu sehen bekommen, sind gelegentliche Kneipenschlägereien oder hin und wieder mal ein Unfall wegen Alkohol am Steuer.«
»Vergiss Pete Hamilton nicht.«
Lena machte ein finsteres Gesicht. »Ach ja. Warum ihn denn nicht vergessen? Ich hab einen Vorschlag: Wir werfen das Schwein in ein dunkles Loch voller Ratten und streichen ihn solange aus unserem Gedächtnis, bis nur noch seine Knochen übrig sind.«
»Oh … schöne Vorstellung. Wie appetitlich.«
»Tut mir leid.« Sie wischte die Arbeitsplatte ab und fügte hinzu: »Wichser, die ihre Frauen schlagen, machen mich einfach wütend.« Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte, drehte sie sich wieder zu Roz. »Anscheinend hat die Tochter alles mit angesehen.«
»Das hab ich auch gehört. Es heißt, Remy Jennings wolle den Kerl diesmal für lange Zeit hinter Schloss und Riegel bringen.«
Lena musste lächeln. »Wenn das jemand schafft, dann Remy.«
Er war klug, zielstrebig und engagiert. Das hatte sie immer an ihm bewundert und respektiert.
»Tja … ob er wohl schon weiß, wen er sonst noch wegsperren sollte?«
Roz ’ Versuch, eine subtile Andeutung zu machen, ging gründlich daneben. Lena stieß sich vom Tresen ab und ballte die Fäuste in den Hosentaschen. »Nämlich … wen?«
Ein langer, schrecklich unangenehmer Moment der Stille verstrich. »Du weißt, wen ich meine.«
»Glaubst du ernsthaft, dass Law jemanden getötet haben könnte?«
»Na ja, eigentlich nicht. Aber, Mensch Lena … die Leiche wurde hinter seinem Haus gefunden«, wandte Roz ein.
»Ja, zu einem Zeitpunkt, als er gar nicht da war.«
»Bist du dir da sicher?«
Lena öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, denn höchstwahrscheinlich hätte sie abgesehen von einem langen Schwall fieser Flüche nichts Zusammenhängendes herausgebracht. Schließlich gelang es ihr doch, etwas zu sagen. »Was meinst du damit, ob ich mir sicher bin? Natürlich bin ich das. Er war nicht mal in der Stadt. Abgesehen davon reden wir hier von Law. Er könnte einer Frau niemals so etwas antun.«
»Ich will ihm ja auch gar nichts unterstellen«, murmelte Roz.
Aber Lena hörte ihr an, dass sie zweifelte. Angesichts dessen drehte sich ihr der Magen um, und sie wurde rasend vor Wut. »Dann tu’s einfach nicht, Roz. Wenn du an ihn glaubst, wenn er dein Freund ist, dann sollte dir das nicht besonders schwerfallen.«
»Lena, natürlich ist er mein Freund, aber … « Roz brach ab.
Ein unangenehmes Schweigen trat ein. Das flaue Gefühl in ihrem Magen wurde immer schlimmer, sodass sich Lena schließlich abwandte. »Was für eine Scheiße«, stieß sie leise aus.
»Lena, ich würde ja auch gern an seine Unschuld glauben. Und wenn du genau weißt, dass er nicht in der Stadt war … «
»Tu mir einen Gefallen und sei still«, schnitt Lena ihr das Wort ab. Sie ging um den Tresen herum und öffnete einen der Hängeschränke. Der Rum, den sie dort aufbewahrte, war eigentlich nur zum Backen gedacht, aber darauf pfiff sie jetzt. Sie nahm die Flasche heraus, holte sich eine Cola light und ein paar Eiswürfel.
»Ja, Roz. Ich weiß genau, dass er nicht in der Stadt war, sondern bei der Beerdigung einer Freundin. Er hat sich nicht mal in diesem Bundesstaat aufgehalten. Also ja, ich bin mir sicher.«
»Sei doch nicht sauer. Ich bin genauso mit ihm befreundet wie du … «
»Lass es«, sagte Lena leise, und ihre Stimme bebte fast vor Zorn. Sie setzte das Glas ab, und zwar vorsichtig, ganz vorsichtig, denn sie war versucht, es
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