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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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40, Merill Lynch, 25. Stock, Shinagawa . Wieder wartete die Frau geduldig, bis ich fertig war.
    »Seit dem Tod ihres Mannes leidet meine Schwiegermutter unter Angstzuständen, die sich verschlimmern, wenn es regnet. Wahrscheinlich, weil ihr Mann in einer regnerischen Nacht ums Leben gekommen ist. So etwas ist sicher nicht ungewöhnlich.«
    Ich nickte.
    »Wenn die Symptome stark sind, gerät sie völlig außer sich und ruft uns an. Dann geht mein Mann zu ihr hinunter und kümmert sich um sie. Er versucht, sie zu beruhigen, zu überzeugen, dass alles wieder gut wird. Wenn er nicht zu Hause ist, gehe ich zu ihr.«
    Sie legte eine Pause ein und wartete auf eine Reaktion. Ich schwieg.
    »Meine Schwiegermutter ist keine üble Person. Ich habe von ihr als Mensch keinerlei negativen Eindruck. Sie ist einfach nur sehr nervös und hat sich immer zu viel auf andere verlassen. Können Sie sich unsere Situation ungefähr vorstellen?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    Sie schlug die Beine übereinander und wartete, dass ich mir Notizen machte. Aber diesmal schrieb ich mir nichts auf.
    »Am vorletzten Sonntagmorgen, also vor zehn Tagen, rief sie wieder bei uns an.«
    Ich warf einen Blick auf meinen Schreibtischkalender. »Am Sonntag, den 3. September?«
    »Ganz recht, am 3. Sie rief um zehn Uhr morgens an«, sagte die Frau. Sie schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. In einem Hitchcock-Film würde an dieser Stelle das Bild verschwimmen und eine Rückblende einsetzen. Aber wir waren nicht im Film, folglich kam keine Rückblende. Sie öffnete die Augen und fuhr fort. »Mein Mann ging ans Telefon. Er war zum Golfspielen verabredet, aber seit dem frühen Morgen regnete es so stark, dass er abgesagt hatte. Wenn an dem Tag die Sonne geschienen hätte, wäre all das nicht passiert. Ich weiß, solche Gedanken helfen jetzt auch nichts mehr.«
    3. September, Golf, Regen, Absage, Anruf der Schwiegermutter , schrieb ich.
    »Meine Schwiegermutter sagte, sie bekomme keine Luft. Ihr sei schwindlig, und sie könne nicht aufstehen. Also zog mein Mann sich an und ging, noch unrasiert, zu ihr hinunter. Er sagte, es werde nicht lange dauern. Ich solle schon mal das Frühstück machen.«
    »Was hatte er an?«, fragte ich.
    Sie rieb sich wieder die Nase. »Chinos und ein kurzärmliges Polohemd. Dunkelgrau. Die Hose war cremefarben. Beides aus dem J.-Crew-Katalog. Mein Mann ist kurzsichtig und trägt deshalb immer eine Brille. Mit Metallrahmen, von Armani. Seine Schuhe waren auch grau, von New Balance. Er trug keine Socken.«
    Ich notierte mir alle Einzelheiten.
    »Möchten Sie seine Größe und sein Gewicht wissen?«
    »Das wäre eine Hilfe.«
    »Er ist eins dreiundsiebzig groß und wiegt zweiundsiebzig Kilo, glaube ich. Als wir geheiratet haben, wog er nur zweiundsechzig Kilo. Aber in den letzten zehn Jahren hat er zugenommen.«
    Auch diese Informationen schrieb ich mir auf. Ich prüfte die Spitze des Bleistifts und nahm einen neuen, den ich eine Weile in der Hand wog, um mich an ihn zu gewöhnen.
    »Kann ich fortfahren?«, fragte sie.
    »Bitte, bitte«, sagte ich.
    Sie schlug nun die Beine in umgekehrter Reihenfolge übereinander. »Als seine Mutter anrief, war ich gerade dabei, Pfannkuchen zu machen. Sonntagmorgens mache ich immer Pfannkuchen. Wenn er nicht Golf spielt, isst mein Mann jede Menge davon. Er mag sie besonders mit etwas knusprigem Schinkenspeck.«
    Kein Wunder, dass der Kerl zehn Kilo zugenommen hatte.
    »Fünfundzwanzig Minuten später rief mein Mann mich von unten an. Seine Mutter habe sich beruhigt, und er käme gleich nach oben. ›Ich bin halb verhungert‹, sagte er. ›Mach das Frühstück fertig, damit ich gleich essen kann.‹ Ich erhitzte also die Pfanne und fing an, Pfannkuchen zu backen. Den Ahornsirup erhitzte ich auch. Pfannkuchen sind wirklich kein schwieriges Gericht. Alles eine Sache der Vorbereitung und richtigen Zeiteinteilung. Ich wartete und wartete, aber mein Mann tauchte nicht auf. Die Pfannkuchen auf dem Teller wurden allmählich kalt und hart. Schließlich rief ich meine Schwiegermutter an. Ob mein Mann noch bei ihr sei. Nein, er sei längst gegangen.«
    Sie sah mich an, und ich wartete schweigend, dass sie mit ihrer Geschichte fortfuhr. Die Frau bürstete sich in Höhe ihrer Knie einen metaphysischen, fiktiven Fusel von ihrem Rock.
    »Mein Mann ist verschwunden. Als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Er ist auf der Treppe zwischen dem 23. und 25. Stock

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