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Blinde Weide, Schlafende Frau

Titel: Blinde Weide, Schlafende Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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rundlicher und irgendwie fröhlicher. Als hätte ich gerade jede Menge warmer Pfannkuchen verdrückt.
    »Hast du einen Hund?«, fragte die Kleine.
    »Nein, aber tropische Fische.«
    »Hm«, sagte sie, schien sich aber nicht besonders für tropische Fische zu interessieren.
    »Magst du Hunde?«, fragte ich.
    Statt zu antworten stellte sie die nächste Frage. »Hast du Kinder?«
    »Nein«, erwiderte ich.
    Sie beäugte mich argwöhnisch. »Meine Mama sagt, ich darf nicht mit Männern reden, die keine Kinder haben. Mama sagt, die sind wahrscheinlich komisch.«
    »Nicht unbedingt«, sagte ich. »Obwohl deine Mama ganz Recht hat – du musst vorsichtig sein, wenn du mit fremden Männern redest.«
    »Aber ich glaube nicht, dass Sie komisch sind.«
    »Ich auch nicht.«
    »Du zeigst mir nicht plötzlich deinen Pimmel, oder?«
    »Nein.«
    »Und du sammelst auch keine Unterhosen von kleinen Mädchen?«
    »Nein.«
    »Sammelst du was?«
    Ich überlegte. Ich sammle Erstausgaben moderner Lyriker, aber dieses Thema würde uns nicht weiterbringen. »Nein, eigentlich nicht. Und du?«
    Das kleine Mädchen dachte nach und schüttelte dann mehrmals den Kopf. »Nein, ich auch nicht.«
    Wir schwiegen einen Moment lang.
    »Du Onkel, welchen isst du bei Mister Donut am liebsten?«
    »Nach Großmutters Art«, sagte ich sofort.
    »Den kenne ich nicht«, sagte sie. »Weißt du, welche ich am besten finde? Vollmond und Bunny Whip.”
    »Von denen habe ich jetzt noch nie gehört.”
    »Das sind die mit Früchten oder süßer Bohnenpaste, die schmecken toll. Aber meine Mama sagt, wer nur Süßigkeiten isst, bleibt dumm. Deshalb kauft sie mir keine.«
    »Hört sich aber lecker an«, sagte ich.
    »Was machst du hier? Ich hab dich schon gestern gesehen«, fragte das Mädchen.
    »Ich suche etwas.«
    »Was denn?«
    »Ich weiß es nicht«, gab ich zu. »Wahrscheinlich ist es so etwas wie eine Tür.«
    »Eine Tür?«, wiederholte die Kleine. »Was für eine Tür? Welche Form hat die? Und welche Farbe?«
    Ich überlegte. Welche Form und welche Farbe? Ich hatte nie darüber nachgedacht. Seltsam. »Ich weiß es nicht. Welche Form und welche Farbe könnte sie denn haben? Vielleicht ist es nicht einmal eine Tür.«
    »Könnte es auch ein Regenschirm sein?«
    »Ein Regenschirm?«, fragte ich. »Warum nicht? Ja, das könnte auch sein.«
    »Aber Türen und Regenschirme sind etwas ganz Verschiedenes. Und die Leute machen auch ganz andere Sachen damit.«
    »Stimmt. Aber ich bin mir ganz sicher, dass ich es auf den ersten Blick erkenne, wenn ich es sehe. Ah, das habe ich gesucht – so auf die Art. Ob es jetzt ein Regenschirm, eine Tür oder ein Doughnut ist.«
    »Hm«, machte das kleine Mädchen. »Suchst du schon lange?«
    »Ja, sehr lange. Damals warst du noch nicht auf der Welt.«
    »Ach so«, sagte sie und betrachtete eine Weile nachdenklich ihre Handflächen. »Soll ich dir beim Suchen helfen?«
    »Darüber wäre ich sehr froh.«
    »Also muss ich etwas suchen, aber ich weiß nicht was. Vielleicht eine Tür, einen Regenschirm, einen Doughnut oder einen Elefanten?«
    »Genau«, sagte ich. »Aber du erkennst es, wenn du es siehst.«
    »Das macht Spaß«, sagte sie. »Aber jetzt muss ich nach Hause. Ich habe nachher Ballett.«
    »Tschüss«, sagte ich. »Schönen Dank für das Gespräch.«
    »Wie heißt noch mal der Doughnut, den du am liebsten isst?«
    »Nach Großmutters Art.«
    Das kleine Mädchen wiederholte es mehrmals mit gerunzelter Stirn, stand auf und stieg die Treppe hinauf. Dabei sang es ununterbrochen. Ich schloss die Augen, überließ mich wieder dem Fluss der Zeit und ließ sie sinnlos verstreichen.

    Eines Morgens, es war Samstag, erhielt ich einen Anruf von meiner Klientin.
    »Mein Mann wurde gefunden«, stieß sie aufgeregt und ohne Begrüßung hervor. »Gestern gegen Mittag rief die Polizei an. Sie haben ihn schlafend auf einer Bank in einem Wartesaal am Bahnhof in Sendai entdeckt. Er hatte kein Geld dabei, keinen Ausweis, aber nach einiger Zeit fielen ihm sein Name, seine Adresse und Telefonnummer wieder ein. Ich bin sofort nach Sendai geflogen. Es ist wirklich mein Mann.«
    »Aber wie ist er nach Sendai gelangt?«, fragte ich.
    »Er hat keine Ahnung. Er weiß nur, dass er in Sendai am Bahnhof aufgewacht ist, weil ein Bahnbeamter ihn an der Schulter gerüttelt hat. Wie er ohne Geld nach Sendai gekommen ist und wie er sich in den vergangenen zwanzig Tagen ernährt hat, weiß er nicht mehr.«
    »Was hatte er denn an?«
    »Dieselben Sachen, in

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