Blinde Wut
solche allgemeinen Fragen. Lieber waren ihm jene, die man klar beantworten konnte, am besten mit einem Ja oder einem Nein.
Lutz überlegte, wie er seinem Gegenüber klarmachen konnte, was er genau wollte. Stöckle war Amtschef, also würde er seine Untergebenen regelmäßig zu beurteilen haben. Ja, das war’s! »Nun«, sagte er laut, »wie beurteilen Sie ihn?«
»Ach so.« Stöckles Züge glätteten sich, und daran erkannte Lutz, daß er das Schlüsselwort gefunden hatte. »Däubler ist ein zuverlässiger Mitarbeiter«, sprudelte es aus Stöckle hervor, »sehr ordentlich, fast schon pedantisch, immer höflich. Ich hatte nie Anlaß zu irgendwelchen Klagen.«
»Tatsächlich? Nie?«
Stöckle sah den Kommissar irritiert an, und Lutz fuhr fort: »Hatten Sie nicht kürzlich eine Auseinandersetzung mit ihm? An dem Tag, als die Geschichte passierte?«
»Hat man Ihnen das also hintertragen?« Stöckle war verärgert. »Das war keine Auseinandersetzung, nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Was war das für eine Meinungsverschiedenheit? Immerhin sollen Sie sich gegenseitig angebrüllt haben.«
Stöckle schüttelte den Kopf. Er hätte gern gewußt, wer von seinen Leuten den Mund nicht halten konnte. Den Kommissar wollte er lieber nicht fragen. Erstens würde er es ihm nicht sagen, und zweitens würde er sich damit kleiner machen, als es sich für seine Position schickte. Die undichte Stelle würde er auch so ausfindig machen, und dann würde der Kerl etwas von ihm zu hören kriegen! Stöckle sah Lutz an und lächelte milde: »Die Leute übertreiben.«
»Ja?« fragte Lutz in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, daß dies eine Aufforderung an Stöckle war, endlich mit der Sprache rauszurücken. Und Stöckle verstand diesen Ton.
»Wissen Sie«, beeilte er sich zu sagen, »der Däubler hat manchmal so komische Ideen gehabt. Direkt weltfremd.« Er schüttelte wieder den Kopf.
»Das paßt aber nicht zu dem, was Sie vorhin über Däubler gesagt haben«, erinnerte ihn Lutz.
»So? Na ja. Was würden Sie denn zu einem Menschen sagen, der Ihnen vorschlägt, statt einer Tiefgarage einen Kinderspielplatz zu bauen? Mitten in der Stadt? Das ist doch kurios, oder nicht?«
Nein, das fand Lutz keineswegs kurios oder weltfremd, aber er befürchtete, daß es zu endlosen Diskussionen kommen könnte, wenn er das zugeben würde. Also wählte er einen Ausweg und fragte: »Hatten Sie deswegen diese Meinungsverschiedenheit?«
»Ja«, gab Stöckle schlicht zurück.
»Und Sie messen ihr keine Bedeutung bei?«
»Nein, absolut nicht.«
»Sind Sie sicher, daß Herr Däubler das genauso sieht?«
»Freilich.«
Lutz legte eine kurze Pause ein und sah Stöckle nachdenklich an. »Sie haben sich doch bestimmt schon Gedanken darüber gemacht«, fuhr er schließlich fort, »wie ein Mann wie Däubler sich zu einer so schrecklichen Tat hinreißen lassen konnte?«
»Natürlich macht man sich so seine Gedanken«, gab Stöckle, dem die Frage sichtlich unangenehm war, zu.
»Und? Haben Sie irgendeine Erklärung gefunden?«
Stöckle zog die Schultern hoch. »Ich kannte den Däubler ja nur von seiner Arbeit her. Die Gründe müssen Sie in seinem privaten Bereich suchen, und der ist mir gänzlich verschlossen. Ich habe mit der Sache jedenfalls nichts zu tun.«
Im Kommissariat wurde Lutz schon dringend von Wagner erwartet. Die Durchsicht der Schmalfilme von Däubler war zwar der allerletzte Job, und das Ergebnis würde für die Ermittlungen so bedeutungsvoll sein wie die Wasserstandsmeldung vom Neckar für die Planung der Filmfestspiele in Berlin, aber trotzdem hatte sich Wagner der Sache mit grimmigem Eifer angenommen, und er war fest entschlossen, sie, wenn sie sonst schon keinen Sinn hatte, auch um ihrer selbst willen zu beenden. Und zwar mit vollem Einsatz! Vielleicht würde Lutz daran erkennen, wie sehr er sich in einen Fall verrannt hatte, der nichts anderes als eine Schimäre war. Und ein bißchen quälen wollte er Lutz natürlich auch, und zwar mit einem Zusammenschnitt, den er von den Spezialisten aus dem Präsidium hatte erstellen lassen, und der Lutz ausschnittsweise zeigen sollte, womit er sich stundenlang hatte herumplagen müssen.
Wagner führte Lutz gleich in den abgedunkelten Vorführraum und gab dem Techniker das Zeichen, mit dem Abspielen des Films zu beginnen.
Der Schmalfilmprojektor fing an zu surren, und auf der Leinwand erschienen die etwas unscharfen, leicht verwackelten und nicht immer richtig belichteten
Weitere Kostenlose Bücher