Blinde Wut
glaube nicht, daß das gespielt ist. Finanziell ist bei ihm auch alles in Ordnung, das hab’ ich von seiner Bank. Und dieser Mensch nimmt eine Pistole und knallt seine Frau und sein Kind ab, bevor er auf sich selbst schießt.« Er hob langsam den Kopf und blickte Wagner an.
Wagner zuckte ungerührt mit den Schultern. »Machen Sie es wie der Hartwig.«
Lutz sah ihn verständnislos an. »Wer ist das?«
»Na, der Reporter vom Abendblatt«, erinnerte Wagner ihn. »Der gibt klare und eindeutige Antworten. Das verstehen die Leute. Ob das nun wahr ist oder nicht, kümmert die doch einen Dreck. Aber daß Sie solchen Anteil an diesem Fall nehmen, wundert mich irgendwo schon, Herr Lutz.«
Lutz sah nachdenklich, fast betroffen vor sich hin. »Mir geht der Anblick des Jungen nicht aus dem Kopf. Wie er dalag… Für mich ist diese Tat nach wie vor unbegreiflich.«
Dann nahm er sich zusammen, räusperte sich und sprach Wagner sachlich und in dem Befehlston an, den sein Assistent so haßte: »Sehen Sie zu, daß Sie rausfinden, was es mit diesem Modell auf sich hat! Und was das für ein Entwicklungshilfefilm ist.«
Bereits bei den ersten Worten hatte Lutz sich erhoben, und bei den letzten ging er aus dem Raum, einen etwas hilflos wirkenden und verdrossenen Wagner zurücklassend, der zu allem Überdruß jetzt auch noch schnell aufräumen mußte, denn es drängten schon die Kollegen einer anderen Abteilung in den Vorführraum, die die Strategie einer Drogenrazzia mit Medieneinsatz vorbereiten wollten.
Etwas später ging es Wagner dann schon wieder besser. In der Kantine hatte er bei der Essensausgabe Gaby getroffen, die hübsche und etwas vorlaute Sekretärin vom Betrugsdezernat, mit der er zu gern einmal eine außerdienstliche Verabredung gehabt hätte. Bisher waren seine Versuche gescheitert. Die Konkurrenz war groß, vielleicht hatte er auch nicht den richtigen Ton getroffen. Sein Sarkasmus, oder was er dafür hielt, kam nicht überall an. Heute aber war Gaby ausgesprochen freundlich zu ihm und ließ es zu, daß er sie begleitete. Er durfte sogar neben ihr am Tisch Platz nehmen. Die Maultaschen, das Gericht, für das er sich entschieden und das auch Gaby gewählt hatte, waren wie immer unter aller Sau, trotzdem kam kein Wort der Kritik über seine Lippen. Er schlang die Maultaschen runter, ohne sie richtig wahrzunehmen, weil all seine Sinne auf Gaby gerichtet waren. Heute würde es zu der lange ersehnten Verabredung kommen, da war er ganz sicher. Die entscheidenden Worte hatte er im Geist schon formuliert, und als er sie gerade aussprechen wollte, trat Lutz an den Tisch und forderte ihn in dem Ton, der ihm, wie Wagner sich schwor, noch einmal zum Verhängnis werden würde, auf, ihn zum Krankenhaus zu begleiten. Er wolle versuchen, mit Däubler zu reden.
Auf dem Weg zum Krankenhaus sprach Wagner kein Wort mit Lutz, und auch im Krankenhaus spielte er die Rolle des beleidigt Schweigenden weiter.
Doktor Kröll, der behandelnde Arzt, führte sie zuerst zur Intensivstation, wo sie den kleinen Christian durch eine gläserne Trennscheibe sehen konnten: Er war an verschiedene Geräte angeschlossen.
»Meinen Sie, der Kleine kommt durch?« fragte Lutz besorgt.
»Ja«, antwortete Doktor Kröll. »Die Frage ist nur, ob er durch den Herzstillstand nicht eine Schädigung im zerebralen Bereich, also eine Hirnschädigung, davongetragen hat. Das wird sich erst später herausstellen.«
Lutz nickte und sah voller Mitleid zu dem Kind hin. Dann wandte er sich ab. »Können wir jetzt zu Herrn Däubler gehen?«
Kröll gab sich zurückhaltend. »Ist es wirklich so wichtig, daß Sie jetzt schon mit ihm reden?«
»Ja«, gab Lutz knapp zurück.
»Vom ärztlichen Standpunkt aus müßte ich das eigentlich ablehnen«, meinte Kröll, »aber ich verstehe Ihre Lage.«
Lutz bedankte sich.
»Wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe«, schärfte Kröll ihm ein, »brechen Sie die Befragung aber sofort ab, ja?«
Lutz nickte. Kröll ging zur Tür und verließ die Intensivstation, und die beiden Kriminalbeamten folgten ihm. Sie gingen einen Korridor entlang, stiegen eine Treppe hinunter und erreichten einen weiteren Korridor, an deren Ende eine elegant gekleidete Dame stand und wartete.
Kröll machte Lutz auf die Frau aufmerksam: »Die Dame war schon ein paarmal da. Sie behauptet, Däublers Frau zu sein.«
Lutz sah ihn erstaunt an, und Wagner hielt das für eine gute Gelegenheit, sein Schweigen zu brechen. »Das wird seine geschiedene Frau sein«,
Weitere Kostenlose Bücher