Blinde Zeugen: Thriller
Schulter. »Wir müssen auf dem Nachhauseweg noch einen kleinen Abstecher machen.«
»Ach, du willst mich wohl auf den Arm nehmen? Erst verschwindest du ’ne halbe Stunde lang spurlos, und jetzt willst du –«
»Wir müssen jemanden zu einem Pornofilm befragen.«
Und da erblühte plötzlich ein Lächeln auf Steels Zügen. »Aber warum hast du das denn nicht gleich gesagt?« Sie stürmte an ihm vorbei und zog ihr barbierosa Köfferchen hinter sich her. »Für einen guten Porno ist immer Zeit.«
10
Die Firma ClarkRig Training Films Ltd. hatte ihren Sitz in einem Gewerbekomplex, der versteckt am Ende einer kleinen Nebenstraße der Hutcheon Street lag. Logan parkte Steels Mazda vor dem Eingang neben einem verbeulten Volvo Kombi, und Steel kletterte hinaus in den Sonnenschein, ohne das Foto von Krystka Gorzałkowska aus der Hand zu legen.
Logan schloss den Wagen ab. »Hast du dich immer noch nicht sattgesehen?«
»Ich seh mich nicht satt, ich sichte das Beweismaterial. Und du brauchst gar nicht so zu tun – ich musste dir das Ding ja mit Gewalt entreißen.« Sie blieb stehen und sah zum Firmenschild von ClarkRig auf. »Bist du sicher, dass sie gezwungen wurde, Pornofilme zu drehen?«
»Das hat sie mir jedenfalls erzählt. Angeblich haben sie gedroht, sie abschieben zu lassen, wenn sie sich weigern sollte.«
Steel machte ein ordinäres Geräusch mit den Lippen. »Dumme Gans. Sie ist Polin – und gehört damit zu unserer ruhmreichen Europäischen Union. Wie sollen wir sie da abschieben? Scheiße, wir können ja noch nicht mal einen verurteilten Terroristen abschieben.«
»Tja, offenbar wusste sie das nicht.«
»Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, diese Gorza-le-kowska –«
»›Gorzałkowska‹. Das L mit dem Schrägstrich spricht man wie ein englisches W.«
»Ach ja? Vielen Dank, Herr Oberlehrer. Wenn ich Bock auf ’nen Sprachkurs hab, geh ich zur Abwechslung mal in einen von denen, die sie im Präsidium anbieten.« Sie zog ihre Hose stramm. »Also, was ich sagen wollte: Sie hat Pornos gedreht, und jetzt hat sie Angst, dass ihre Familie davon erfahren könnte. Was wird sie also tun – zugeben, dass sie es wegen des Geldes gemacht hat, oder behaupten, ein böser Mann habe sie dazu gezwungen?«
»Wenn sie die Wahrheit sagt –«
»Dann kauf ich dir ein T-Shirt, wo vorn groß und fett draufsteht: ›Ich hab’s ja gleich gesagt‹. Würde dich das glücklich machen?« Steel steuerte schon auf die Eingangstür zu. »Komm jetzt. Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns jetzt endlich Pornos sehen.«
Der Empfangraum war groß und hell, die Wände geschmückt mit Auszeichnungen der Lehrfilmindustrie und gerahmten DVDs. In der Mitte des glänzenden Holzbodens standen zwei antike Filmprojektoren, geschützt hinter identischen Vitrinen. Dazu Ledersofas und Couchtische aus Stahl, und alles funkelte und glänzte wie neu. Nirgends war auch nur ein Quadratzentimeter nackte Haut zu sehen.
DI Steel marschierte schnurstracks auf den langen Empfangstresen aus Mahagoni zu, schlug mit der Faust darauf und rief: »KUNDSCHAFT!«
In einer der Türen hinter dem Empfang erschien ein rundes Gesicht mit einem fröhlichen Lächeln darauf. »Was kann ich für Sie tun?« Die Frau war Ende sechzig, mit braun gefärbten Haaren und Armen wie Blutwürste. Als sie auf ihren Stuhl zuwatschelte, sah es aus, als ob ihr Bauch die Besucher mit einer La Ola begrüßte.
Steel starrte sie gebannt an. »Meine Fresse, das ist ja wie –«
Logan schaltete sich ein, ehe Steel dafür sorgen konnte, dass sie beide vor die Tür gesetzt wurden. »Ist Mr. Clark zu sprechen?«
» Wen darf ich melden, bitte?«
»Detective Sergeant McRae. Wir haben uns vor ein paar –«
»Ach ja, klar. Ich erinner mich noch gut!« Sie ließ den vornehmen Akzent fallen und strahlte ihn an. »Gehen Sie einfach durch, er ist im Schneideraum.«
Steel zog die Augenbrauen hoch. »Ist doch hoffentlich kein Lehrfilm, oder?«
»O nein.« Sie zwinkerte. »Es ist eine von unseren speziellen Produktionen.«
Der Schneideraum bestand im Wesentlichen aus einem Bedienpult mit Tastaturen, Reglern, Knöpfen und Schaltern und einem Dutzend Flachbildschirmen. Auf allen waren nackte Menschen zu sehen, die einander alles Mögliche in die verschiedenen Körperöffnungen steckten. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund sangen sie alle dabei. Bei jedem Kameraschwenk blitzte ein Stück strahlend blauer Himmel oder grüne Landschaft auf.
Steel blieb in der Tür stehen und
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