Blinde Zeugen: Thriller
da?«
Die Frau musterte zuerst Steel und dann Logan von Kopf bis Fuß. »Was hat er denn jetzt wieder angestellt?«
»Er hat im Lotto gewonnen«, sagte Steel, »und wir sind gekommen, um ihm seinen großen Pappscheck zu überreichen.« Sie sog noch einmal an ihrer Zigarette und schnipste die Kippe in den Rinnstein. »Ist er zu Hause?«
Die Züge der Frau verhärteten sich – die Augen wurden zu dünnen Schlitzen, die Mundwinkel bogen sich nach unten. Sie ging ins Haus zurück und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Aus dem Wohnzimmer drang unerträglich fröhliches Gedudel. Zwei kleine Kinder, ein Mädchen und ein Junge, saßen auf dem Teppich vor dem Fernseher und verfolgen mit gebannter Aufmerksamkeit das Duett eines Warzenschweins und eines Erdmännchens.
Kevin Murray lümmelte auf dem Sofa; eine Dose Bier zwischen den Fingern der einen Hand, die schlaff über die Armlehne hing.
Die Frau stellte sich so vor ihn, dass sie ihm die Sicht auf den Fernseher nahm. »Kevin, es ist die Polizei.«
Kevin hob den Kopf, runzelte die Stirn und versuchte seinen Blick zu fokussieren, gab es aber gleich wieder auf und nahm noch einen Schluck aus seiner Dose. Seine Nase war dick verbunden – ein Packen Verbandmull auf den Nasenlöchern, gehalten von zwei Binden, die sich einmal um seinen ganzen Schädel zogen, der nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Ein zweites Mullkissen war auf seiner Wange festgeklebt. Der weiße Stoff war gelblich verfärbt, mit dunkelroten Flecken. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst keinem die Tür aufmachen, Ma.« Er hörte sich an, als ob er schwer erkältet wäre. »Könnte doch weiß Gott wer sein.«
»Wir hatten eine Abmachung, Kevin: Du darfst hier wohnen bleiben, solang du keinen Ärger machst.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich mach keinen Ärger, Ma, wirklich nicht. Ich halt mich schön aus allem raus. Okay?«
Steel sah den Kleinen eine Weile beim Fernsehschauen zu. Dann sagte sie: »Können wir uns kurz in der Küche unterhalten, Kevin?«
Kevin leerte seine Bierdose und rülpste. »Ich sitz hier ganz bequem.«
»Wir wollen das doch nicht vor den Kindern bereden.«
»Hey, niemand zwingt Sie zu irgendwas. Ich hab keine Geheimnisse vor meinen kleinen Engeln. Wollen Sie mich verhaften? Dann machen Sie’s gleich hier.«
Seine Mutter schlug ihm mit der flachen Hand auf die Schulter. »Kevin, du hast’s mir versprochen!«
»Ich hab doch gar nix gemacht!«
Steel steckte die Hände in die Hosentaschen. »Was wird Ihre Kleinen wohl eher neben die Spur bringen – die Tatsache, dass Sie verhaftet wurden, oder die Tatsache, dass Sie sie gezwungen haben, dabei zuzuschauen?«
Kevins Mutter versetzte ihm noch einen Schlag. »Was hat er diesmal ausgefressen?«
»Au! Ich hab’s dir doch gesagt, ich hab nix –«
»Wir haben einen Molotowcocktail, der mit seinen Fingerabdrücken übersät ist. Gefunden wurde er in der ausgebrannten Ruine eines Wettbüros.«
»Kevin!« Die Mutter zog ihm eins über den Hinterkopf und zerrte ihn dann am Ohr vom Sofa weg.
»Aaaah! Loslassen! Ma, du tust mir –«
»Kevin Murray, du hast beim Grab deines Vaters geschworen, dass du dich benehmen wirst, wenn ich dich aufnehme! Was gibst du denn Britney und Justin für ein Beispiel?«
Britney und Justin drehten sich nicht einmal um, als ihre Großmutter ihren Vater in den Hausflur hinauszerrte und aus Leibeskräften auf ihn einzuprügeln begann. Ein Hagel von Schlägen ging auf seinen Kopf nieder, während er sich in die Ecke neben der Haustür duckte. »Was –« klatsch »– hab –« klatsch »– ich –« klatsch »– dir –« klatsch »– gesagt?«
Steel machte die Wohnzimmertür zu und sperrte die singenden Tiere aus. »Wissen Sie, Mrs. Murray, eigentlich verprügeln wir unsere Verdächtigen lieber selbst – wenn Sie also nichts dagegen haben …«
Kevins Mutter versetzte ihm eine letzte schallende Ohrfeige. »Na los, sag ihnen schon, was passiert ist. Und sag die Wahrheit, sonst vergesse ich mich noch!«
»Aber ich hab nix –«
Seine Mutter hob wieder die Hand.
»Okay, okay! Ich war’s.« Er sah kurz zu Logan und Steel auf und schlug gleich wieder die Augen nieder. »Es war nicht … Ich hab’s nicht gewollt. Aber sie haben gesagt, sie wissen, wo ich wohne, und sie würden kommen und meine Kinder und meine Ma aufschlitzen, wenn ich den Laden nicht abfackle.«
Logan zückte sein Notizbuch. »Wer waren diese Leute?«
Kevin hielt den Blick auf den Teppich gerichtet. »Kann
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