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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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beiläufig, dachte Jury. Er hatte es bisher vermieden, von Dolly Schell zu sprechen, weil es Mary vielleicht weh tat. »Deine Cousine, ja, mit der habe ich auch schon gesprochen.«
    »Sie ist nach England geflogen, um Angela zu identifizieren.« Ihre S tim me klang bitter, aber sie schaute Jury nicht an. Plötzlich glitt sie unter den Tisch. »Sunny schläft.«
    »Er ist wirklich ein ziemlich ruhiger Hund.« Jury würde die Dolly-Geschichte später noch einmal aufgreifen.
    »Wenn man ihn nicht ärgert.«
    »Was ärgert ihn denn?«
    »Also, ich glaube, er würde sich nicht gerade mit jemandem anfreunden, der mit einer Keule oder einer Axt auf mich losginge. Wenn er durch die Canyon Road flaniert, verschwinden die Leute in ihren Häusern.« Sie schüttelte ein wenig den Kopf und kniff den Mund zusammen, damit hinreichend deutlich wurde, was sie davon hielt. »Stellen Sie sich vor! Alle glauben, Sunny ist ein Kojote.«
    Sie sprach es Ko-i-jote aus.
    »Mary, er sieht aber auch so aus.«
    »Quatsch! Haben Sie schon einmal einen Kojoten mit solchen silbrigen Augen gesehen?« fragte sie wütend.
    »Nein, aber ich habe auch noch nie einem Auge in Auge gegenübergestanden. Wo hast du ihn aufgelesen?«
    »Beim Rumlaufen«, antwortete sie vage.
    »Wer ist rumgelaufen, er oder du?«
    »Er war in der Wüste und noch ein kleiner Welpe und schnüffelte an einem Geierskelett herum. Und weil er bestimmt Hunger hatte, habe ich ihm mein Schinkenbrot gegeben«, erzählte sie unwirsch.
    »Was hast du denn mit einem Schinkenbrot in der Wüste getrieben?«
    Ach, sagte der verkniffene kleine Mund, du schnallst doch nichts. »Vermutlich dasselbe wie er.«
    »Geierskelette gesucht?«
    »Nööö.« Nun wurde ihr Mund kreisrund. »Ich fahre samstags immer in die Wüste und esse dort zu Mittag.«
    Trotzdem sagte sie nicht, was sie »trieb«. Vielleicht gar nichts. Ein Soliton? Er lächelte. »Du solltest lieber ... ich weiß nicht ... mit deinen Freundinnen ins Kino gehen. Ich bin samstags immer ins Kino gegangen.« Wie bitte? Ihm fiel kein einziger Samstag ein ... aber doch, ja, er erinnerte sich an ein Kino namens Odeon. In der King's Road, oder war es in der Fulham Road gewesen? Er sah sich davor stehen, die Ankündigungen lesen, die Plakate .
    Sie starrte ihn böse an. Ihre Lieblingsmiene. Sie schaute ihn an, schaute weg, kurz hierhin und dorthin, die Möglichkeit für einen fetzigen Gegenschlag war so toll, daß sie sich nicht entscheiden konnte, welcher am besten war, und es ganz aufgab.
    Jury lächelte ein wenig und kapierte allmählich, warum er hier den Dummen abgab (auch in seinen Augen). Er eignete sich als Zielscheibe. Wenn man gerade jemanden verloren hat, den man sehr liebt (und für ihn bestand kein Zweifel, daß Mary ihre Schwester liebte), ist es doch geradezu eine Erleichterung, einem Riesendepp - besonders einem von der Polizei - gegenüberzusitzen, auf den man sich einschießen kann.
    »Ist ja auch egal, es ist keine richtige Wüste. Sie ist nicht mehr echt.« Nun war ihr Ton nicht mehr ironisch, sondern traurig.
    Er beobachtete dieses Kind in der kohlrabenschwarzen Kluft, das nichts Kindlich-Verspieltes mehr an sich hatte, und fragte sich, ob nicht die pragmatische Mary statt der mystisch verklärten Angela (in den Worten von Nils Anders) »den Laden schmiß«. Sie hatte etwas derart Bodenständiges, etwas so Kompaktes, daß Jury nicht überrascht gewesen wäre, wenn er Wurzeln und nicht Schuhe am Ende ihrer geraden langen Beine erblickt hätte. Die Bilder in seinem Kopf liefen ineinander. Die Samstage mit Freunden - hatte es die überhaupt gegeben? Doch, das Kino, das Odeon, weiter unten in der Straße, ja (in der King's Road, da war er sich jetzt sicher). Der Park, in dem er Amy geholfen hatte, damit sie ihre Aquarelle zeichnen konnte ... Marys Bemerkung über die Wüste (»wie gemalt«) hatte ihn darauf gebracht . Er schaute auf.
    Mary sah erschreckt und besorgt aus, ihre klaren Augen waren getrübt, als entgleite er ihr gegen ihren Willen .
    Sie schob aber nur ihren Teller beiseite und sagte: »Fertig.« Dann blickte sie sich in dem Raum um, als könnten jetzt alle nach Hause gehen, rutschte nach unten und schnappte sich Sunnys Leine.
    Jury spürte, wie sich der Hund wachschüttelte. Als er wieder beieinander war, tauchte sein Kopf unter dem Tisch auf. Mit seinen Silberaugen betrachtete er Jury.
    Trotz der Ladung Kuchen hatte Mary schon bald wieder Hunger. Gegen neun hielten sie zum Essen in der Nähe von Chamas vor

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