Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Cowboystadt, das merkt man an den breiten Straßen und den vielen Saloons.«
    Jury schaute sich die Frauen in den wunderschönen Stiefeln, den weichen Lederklamotten und Seidenschals an, die winzigen Tassen und Platten mit Croissants, und versuchte sich die Espresso-CappuccinoBar voller Cowboys vorzustellen. Unter dem Tisch nagte Sunny an dem Doughnut, als sei er so hart wie ein Steakknochen.
    Mary aß in aller Ruhe. Er beobachtete sie, wie sie auf den Cappuccino blies und mit ihrem Atem Muster in den Schaum zauberte. Ihr Blick war gesenkt, die Wimpern lang und dicht. Wahnsinn, dachte Jury. Das wird sie - eine Wahnsinnsfrau. Der Gedanke verstörte ihn, immerhin war sie erst dreizehn. Aber sie strahlte etwas verstörend Erotisches aus, widersprüchlich, als wolle die Frau sich gegen das kleine Mädchen durchsetzen. Zuerst hatte er sie ja für eine junge Frau gehalten, jetzt merkte er, daß das nicht nur an dem dicken Make-up gelegen hatte. Er fragte sich, wie Männer auf sie reagierten, welche Gefühle sie in ihnen hervorrief.
    Außer mit der impliziten Anspielung in dem Satz »Aber wahrscheinlich wollen Sie mit mir reden« hatten sie Angelas Tod nicht erwähnt. Und Mary schien nicht geneigt, damit anzufangen. Also sprach Jury sie direkt darauf an. »Ich würde gern mit dir über deine Schwester reden.«
    Mary hörte auf, den Milchschaum abzuschöpfen, blickte aber nicht hoch.
    »Ich weiß, daß ihr, du und deine Schwester, immer gern nach Mesa Verde gefahren seid«, fuhr er fort. »War das einer von euren Lieblingsorten?«
    Sie nickte und löffelte den Rest des Schaums ab. Dann sagte sie: »Vielleicht gibt es dort Geister.«
    »Geister?«
    »Ja, Angie glaubt an Geister. Rosella auch. Vielleicht hat Angie deshalb daran geglaubt, weil Rosella immer davon erzählt.«
    »Rosella ist die Frau, die sich um dich kümmert?«
    »Hm, hm.« Sie schnitt das restliche Gebäck in kleine Stücke.
    »Vertritt sie jetzt, hm, einen gesetzlichen Vormund?« Jury fragte sich, was das Schicksal mit Mary Dark Hope vorhatte.
    Sie schüttelte den Kopf, daß ihr dunkles Haar hochwirbelte. »Ein paar Damen vom Sozialamt sind vorgestern vorbeigekommen.« Bei der Erinnerung daran schaute sie Jury mit ihren Eiswasseraugen an.
    Er war froh, daß er keine »Dame vom Sozialamt« war, und lächelte. »Rosella ist doch schon so lange bei euch, daß man sie sicher als geeigneten Vormund betrachten würde, obwohl ihr nicht blutsverwandt seid. Würde ich meinen.«
    Wenn Mary das mit Erleichterung aufnahm, zeigte sie es zumindest nicht. Sie schaute ihn weiter an.
    Nun verstand er, daß Erwachsene ehrfürchtig oder wütend auf sie reagierten; sie war so schwer zu durchschauen und distanziert.
    »Dann hast du für die Geister Flöte gespielt?«
    »Nein. Wegen der Erinnerungen.«
    Er schaute sie an, aber sie hatte das Gesicht dem Teller zugewandt, auf dem jetzt nur noch ein kleines Stück Blätterteig und das Eclair lagen. Weil sie für ihre Hände keine andere Beschäftigung fand, drehte sie den Teller im Kreis. Jury schämte sich ein wenig; seine Frage war arrogant gewesen. Wegen der Erinnerungen. »Es tut mir wirklich sehr leid, Mary, das mit Angela.«
    »Sie haben mir aber noch gar nichts erzählt.«
    Jury erzählte ihr, wie sie ihre Schwester gefunden hatten.
    Dabei betrachtete sie die ganze Zeit das Eclair, aß es aber nicht. »Würdest du dir das mal anschauen?« Jury zog die Fotokopie aus der Innentasche seines Mantels und strich sie auf dem Tisch glatt. »Es ist eine Seite aus einem Adreßbuch.«
    Sie studierte sie einen Moment lang mit gerunzelter Stirn. »Da steht >Coyote Village<. Und die Ziffern?«
    »Vermutlich Telefonnummern.«
    »Ist es Angies Adreßbuch?«
    »Sieht es wie ihre Schrift aus?«
    »Nein.«
    »Kennst du sonst noch jemanden, der gern dahin gefahren ist?«
    »Nein. Die Touristen gehen hauptsächlich zu den ganz großen Sehenswürdigkeiten - Balcony House, Spruce Tree. Angie -« Sie senkte den Kopf, er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. Als sie wieder hochschaute, war er so entfernt wie der Mond. »Angie mochte Coyote Village, weil da kaum jemand aufkreuzte, und sie - wir - hatten es ganz für uns. Bildete Angie sich immer gern ein.« Sie nahm ihr Eclair und biß ein Stück ab.
    Jury faltete die Fotokopie, deren Knickkanten vom vielen Gebrauch schlaff geworden waren, und steckte sie wieder ein. »Bis jetzt habe ich von deiner Schwester den Eindruck gewonnen, daß sie weit mehr an geistigen Dingen interessiert war als an

Weitere Kostenlose Bücher