Blinder Eifer
Würstchen weggeholt wurde, weil Momaday Verschwörung spielte.
Martha, bis zu den Ellenbogen mit Mehl bestäubt, und Ruthven, der vor einem kleinen Kamin eine Scheibe Toast aß, befanden sich in der Küche, die wie immer erfüllt war von den köstlichen, würzigen Düften der Mahlzeiten des Tages. Bei Melrose' Erscheinen stand Ruthven natürlich sofort Gewehr bei Fuß. Er war vor Melrose an der Tür, ohne daß er den geringsten Anschein erweckte, als beeile er sich. Naserümpfend duldeten Martha und Ruthven Momaday in der Küche.
Na klar, dachte Melrose, die beiden waren schließlich schon in den Diensten des siebten Earl und der Countess gewesen, bevor Melrose geboren worden war.
Sie hatten zum harten Kern einer beträchtlichen Anzahl Bediensteter gehört - Haus- und Küchenmädchen, Chauffeure, Gärtner - und es dann als selbstverständlich hingenommen, daß es nun ihnen allein oblag, mit Hilfe einiger Reinemachefrauen aus dem Dorf den Haushalt weiterzuführen. Auch der alte Gärtner, Mr. Peebles, war endlich in Rente gegangen (hatte offiziell getan, was er schon vor Jahren begonnen hatte, meinte Melrose). Für ihn war Mo-maday eingestellt worden.
Als er nun Seiner Lordschaft eine Nachricht überbrachte, drang er entschieden in Ruthvens Territorium ein. Melrose nahm ein mehrfach gefaltetes, schmuddeliges Stück Papier entgegen und fragte erstaunt: »Und warum wurde es Ihnen nicht übergeben, Ruthven?«
»War ja wohl nich hier, was?« antwortet Momaday für Ruthven und beleidigte ihn damit noch mehr. Darüber hinaus klang es wahrhaftig so, als tanzten hier in dem Moment, in dem Seine Lordschaft aus dem Haus war, die Mäuse.
»Es war notwendig«, sagte Ruthven steif, »daß ich zu Jurvis ins Dorf ging, um den Lammrücken abzuholen. Und Martha hat ihre Cousine besucht.«
Die Nachricht war von Dick Scroggs und besagte, daß Mr. Jury im Jack and Hammer angerufen habe, nachdem in Ardry End keiner dagewesen sei. Des weiteren, daß Mr. Jury Melrose bitte, Inspector Lasko in Stratford-upon-Avon anzurufen.
Klartext: daß Mr. Jury Melrose bitte, nach Stratford-upon-Avon zu fahren.
»Warum haben wir kein Fax?« fragte Melrose später an dem Morgen Ruthven in untypisch streitsüchtigem Ton, als sei dieser daran schuld. »Wir haben nicht einmal«, fuhr er mit Blick durch die mangelhaft ausgerüstete Anrichtekammer fort, die nun als Büro diente, »einen Computer.«
»Wir haben erst kürzlich eine Schreibmaschine erworben, Mylord«, erwiderte Ruthven, »was für unsere Zwecke ausreichend zu sein scheint.«
Melrose war unsicher, ob ihm dieser Ton behagte, da »unsere Zwecke« bedeutete, daß Gin Lane getippt wurde, welchselbige Aufgabe Ruthven mit großem Eifer übernommen hatte. Er genoß es, die Haushaltsbücher und Inventarlisten beiseite zu schieben, sich mit aufgerollten Hemdsärmeln an den antiken Nußbaumschreibtisch zu setzen und hingebungsvoll im Zweifingersuchsystem zu tippen, das er mittlerweile perfekt beherrschte. Melrose' handgeschriebene Seiten bewahrte er im Schreibtisch verschlossen auf (warum, wußten sie beide nicht). Nun schaute er sich die Notizen Seiner Lordschaft über den Trip nach London an. Melrose hatte einiges festgehalten und wollte den Rest Ruthven direkt in die Maschine diktieren.
Zum Diktat bedurfte es normalerweise Lou Reeds, der hinten im Salon loswummerte. Aus unerfindlichen Gründen regte dies Melrose' Kreativität an. Er liebte Lous »Marshal Law« inständig und spielte es mit Wonne, wenn Agatha wie ein alter grauer Seehund auf dem Sofa saß, Tee trank und zarte Küchlein in sich hineinstopfte.
.... I'm the marshal in this town.... beschwor weitere Visionen herauf, von Clint Eastwood zum Beispiel, den Melrose sehr mochte. Während Lou Reed Agatha kreischend in die Flucht trieb, war Clint Eastwood die Apotheose dunklen, teuflischen Schweigens. Wenn Melrose sich vorstellte, daß Clint am Kaminsims lehnte, war dessen Schweigen geradezu greifbar, nahm Form und Gestalt an und ermunterte Melrose zu weiteren Phantasien: Schonbezüge fielen auf Sessel und Sofa und besonders dorthin, wo Agatha saß. Sie bedeckten das Sofa und die darauf Sitzende, die unentwegt weiterredete und den Mund unter dem Stoff bewegte. Ein dunkler Fleck entstand, wo sie geisterhaft gedämpft die Luft einsog. Und wenn Melrose mit seiner Phantasie diesen Spezialeffekt nicht ganz zuwege brachte, konnte Clint Eastwood immer noch die Knarre ziehen und Agatha erschießen. Auch das passierte nicht selten.
Nun aber
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