Blinder Eifer
suchte Carole-anne ihre Siebensachen zusammen und stürzte zur Tür. »Muß mich fertigmachen. Zur Arbeit. Ciao!«
Sie polterte aber nicht gleich die Steintreppe hinunter, sondern raste in ihre Wohnung hoch. Bestimmt zu dem Zweck, in etwas noch heißer Korallenfarbenes zu schlüpfen.
Jury ging allerdings hinunter.
»Mr. Jury! Ich wußte ja gar nicht, daß Sie wieder da sind. Schauen Sie, hier möchte jemand die Wohnung besichtigen.«
Was sich Jury ja auch schon gedacht hatte, als er ihn hatte hochstarren sehen. Der Mann war Ende Zwanzig, fast so groß wie Jury und in schwarzes Leder gewandet. Von Kopf bis Fuß. Schwarzer Lederblouson, schwarze enge Lederhosen. Glänzend braune Augen, rotblondes Haar, Muskeln unter dem Leder und Wangenknochen, wie für ein Model oder einen Filmstar gemeißelt.
Randy Tyrone.
Mit diesem Namen stellte ihn Mrs. Wassermann jedenfalls vor. Natürlich hieß niemand Randy Tyrone, dachte Jury. Mit einem Handschlag, der ein paar winzige, überflüssige Knochen in Jurys Hand zersplitterte, und einer unglaublich wohltönenden Stimme sagte Randy Tyrone: »Mrs. Wassermann hat mir schon von Ihnen erzählt. Da kann einem ja nichts passieren, wenn man hier wohnt.«
Schlaumeier. Jury erwiderte das Lächeln nicht, sondern schaute sich das am Bordstein geparkte Motorrad an - nichts Geringeres als eine BMW. Elegant und glänzend schwarz wie der Besitzer. »Ihre?«
Randy Tyrone nickte und verzog den Mund zu einem hochmütigen Lächeln. »Damit bin ich schneller als mit dem Auto.«
»Von wo nach wo?«
»Ich bin Schauspieler. Gönne mir gerade eine Ruhepause. Betätige mich zwischen zwei Theaterjobs ein bißchen als Model.«
»Schauspieler!« Mrs. Wassermann geriet ins Flattern.
Jury glaubte nicht, daß er die Maschine mit Schauspielen erworben hatte. Vielleicht mit einem Job in Soho. Er schüttelte bedauernd den Kopf und sagte: »Menschenskind, Randy, wie schade. Jetzt haben Sie den ganzen Weg umsonst gemacht. Die Bude ist vor nicht mal einer Viertelstunde vermietet worden.«
Mrs. Wassermann klappte der Mund auf. Dann sagte sie: »Nanu . Carole-anne hat mir ja nicht mal gesagt, daß jemand zum Besichtigen kommen wollte.
Du liebe Güte.... ich habe auch niemanden gesehen.« Hilflos schaute sie Randy Tyrone an.
Jury zeigte auf das Paar, das auf der anderen Straßenseite immer noch ins Gespräch vertieft war. »Die dort drüben. Die müssen Sie verpaßt haben.« Fröhlich winkte er ihnen zu. Sie starrten erst ihn, dann einander an und winkten, wenn auch ein wenig mißtrauisch, zurück.
Während Jury lauschte, ob er etwas von Carole-anne hörte, zuckte Randy Tyrone ein paarmal mit einem Wangenmuskel, setzte sich seinen schwarzen Motorradhelm auf, deutete abrupt einen Abschiedsgruß an und schoß (gerade als Carole-anne aus der Haustür trat) in einer schwarzen Staubwolke von dannen.
»Wer war das?« greinte sie in aller Öffentlichkeit und lief zur Straßenmitte, um besser sehen zu können.
»Bloß ein Motorradbote«, sagte Jury und bedeutete Frau Wassermann, still zu sein. Da sie lange genug mit ihm und Carole-anne zusammenwohnte, ahnte sie potentielle Probleme und nickte.
»Für wen denn?«
»Für mich«, sagte Jury.
»Ein Motorradbote?« Sie runzelte die Stirn. »Was Wichtiges?«
»Eigentlich nicht.«
»Was dann?«
Jury gähnte. »Nada.«
10
Dem Herrn sei Dank: Tee gab es schon länger als Wiggins.
Das war Jurys erster Gedanke, als er um vier Uhr sein Büro im Scotland-Yard-Gebäude betrat, wo der Detective Sergeant die Hände über den Wasserkessel hielt, als wolle er ihn schnappen, bevor er sich pfeifend in die Lüfte erhob. Dennoch pfiff er gellend, ehe Wiggins ihn sich greifen und in Richtung zweier wartender Becher befördern konnte.
»Tee ist fertig«, verkündete Wiggins und strahlte übers ganze Gesicht. »Ich wußte, daß Sie genau um diese Zeit kommen.«
Woher, wußte Jury wiederum nicht, sagte aber nur: »Diesmal nicht so viel Zucker, bitte.«
»Sie wissen doch, daß ich keinen Zucker mehr nehme. Honig, der bringt's.«
»Aha. Dann nicht so viel Honig.« Jury betrachtete die Papiermassen, die kunterbunt durcheinander auf seinem Schreibtisch gelandet waren, fuhr mit der Hand darüber, als ob diese Aktion ihm enthüllen werde, was wichtig war und was nicht, und schob dann alles beiseite. »Was haben Sie über die Kunstliebhaber in der Tate herausgefunden?«
»Beatrice und Gabriel? Bis jetzt nichts. Ich warte auf einen Anruf von der C-Division. Wieviel Milch?« fragte
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