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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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grabschten, brüllten, lachten, tanzten und versuchten, sie sich gegenseitig abzujagen, während sie zum Essen liefen. Wehe, wer seins nicht fest in der Hand hielt!
    Trotz der immer wieder ausbrechenden Schreierei, des zerbrechenden Geschirrs und der Stimme von
    White Ellie, die alle anderen Geräusche mit großen Donnerschlägen übertönte, setzte Melrose sich ruhig und entspannt ins Wohnzimmer und beglückwünschte sich dazu, solch klugen Gebrauch von den Süßigkeiten gemacht zu haben. Um so mehr, da er bei ihrem Erwerb gar nicht an diese Bande hier gedacht hatte. Was, um alles in der Welt, hatte ihn veranlaßt, sechs Tüten zu kaufen? Der Tag war gerettet. Er plusterte sich regelrecht auf, nun, da er wieder ein wenig von dem alten Selbstbewußtsein spürte, das ihm abhanden gekommen war, als er feststellen mußte, daß Sergeant Wiggins klüger war als er. Nein, Wiggins hätte die Cripps'sche Brut nie übertölpelt. Aber er. Lächerlich, sie »übertölpeln« zu wollen. Sie selbst waren die größten Tölpel. Während er sich noch derart selbst beweihräucherte, schürzte er plötzlich die Lippen und runzelte die Stirn. Sollte ein halbwegs vernünftiger Mensch auf so etwas stolz sein? Hatte er seine eigenen Ansprüche an sich schon so heruntergeschraubt?
    Er wartete, daß White Ellie mit seiner Tasse Tee zurückkam, rauchte und blies aparte kleine Rauchringe in die Luft. Hier brauchte man nicht zu fragen, ob man rauchen durfte. Ein Blick ins Zimmer genügte, und man wußte, daß hier alles, wirklich alles, erlaubt war. Wie in Ada Crisps Gebrauchtmöbelladen waren Sessel mit großen Lehnen und Sofas in Massen hier hineingestopft, überhäuft mit alten Kissen und Wäsche, die darauf wartete, daß sie durch Eingreifen einer höheren Gewalt sortiert wurde. Über dem kalten Kamin hing ein Luchskopf (von einem der Kinder erlegt?), dem es nicht geschadet hätte, wenn sich der ortsansässige Präparator seiner noch einmal angenommen hätte. Auf dem Boden standen Tischlampen, die offenbar mit ihren schiefen Schirmen die verblaßten Rosen auf dem Teppich wie Nachtlichter in einem Garten illuminieren sollten. In einer Ecke stand eine Wasserschüssel, die Melrose Rätsel aufgab. Bei näherer Betrachtung erwies sich, daß Stromkabel hineinhingen.
    Er zuckte mit den Schultern und wandte sich der Tapete zu. Sie war neu (was bei den Cripps neu hieß ... ). Er erinnerte sich, daß sie vor Jahren anders gemustert gewesen war. Trotzdem kam sie ihm bekannt vor. Ach ja, es war die gleiche wie in der Küche. Die Cripps mußten ein paar alte Rollen gefunden und das Zimmer frisch tapeziert haben. Das Muster wartete mit Unmengen dieser großen schrecklichen Blumen (deren Name ihm nicht einfiel) auf, die ihre Blütenblätter weit spreizen und aus deren Mitte Staubfäden hängen, die deutlich an Phalli erinnern. Im Hause Cripps wurde der Erinnerung auf wunderbare Weise auf die Sprünge geholfen, denn die Kiddies hatten ihre Wachsmalkreiden geschwungen. Ihre Wandmalereien lieferten sicher ein hübsches Gesprächsthema, wenn Gäste da waren. Die Wohnung war graffitimäßig voll im Trend der Zeit, denn auch Türen und Fensterrahmen waren mit diversen Obszönitäten vollgeschmiert. Melrose überlegte, ob die zwei unter den feuchten Flecken in der Decke aufgestellten Eimer wirklich zum Tropfenauffangen gedacht waren oder für Piesel-Pete. Wahrscheinlich für beides.
    Er hörte White Ellie, bevor er sie sah. Mit zwei Bechern Tee, einem kleinen Teller mit Zuckergußkeksen und schon mitten in einer ihrer weitschweifigen Histörchen kam sie ins Wohnzimmer gerattert.
    »... und dann der Rasputin, schmeißt die Scheißmöbel direkt aus'm Fenster oben, wär ja gar keine schlechte Idee gewesen, wenn nich - hier.« Sie gab Melrose seinen Tee. »Zucker is schon drin.«
    (Melrose murmelte ein Dankeschön und drehte die Tasse so, daß er die Lippenstiftspuren am Rand nicht mehr sah.)
    Sie ließ sich in einen tiefen, dunklen Sessel fallen, nicht ohne einen Wäschestapel woanders hinzubefördern und eine neue Staubwolke aufzuwirbeln. Ihre Zigarette klebte wie durch Zauber in ihrem Mundwinkel fest und tanzte beim Sprechen mit. »Wenn er nich gezündelt hätte. Und schon fliegt der antike Pe-tit-point-Stuhl von meiner Mutter auf den Haufen. >Rasputin, du verdammter Idiot<, brüll ich, >gleich ham wer die Feuerwehr hier!<«
    Geduldig lächelnd wartete Melrose, daß sie ihr Epos von Rasputins Guy-Fawkes-Abenteuer zu Ende erzählte. White Ellie begann stets

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