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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Spiegel aussah. Na ja, eben Zersplittertes Licht.
    Er wollte das Buch auf das Regal zurückstellen, zögerte und steckte es in die Innentasche seines Mantels.
    Es gab noch ein paar Gedichtbände, ein dicker Robert Frost, ein dünnerer T. S. Eliot. Vier Quartette. Letzteres enthielt eine Reihe mystischer Geistesblitze, die Jury sich mehr als einmal zu Gemüte geführt hatte. Er war so tief berührt gewesen, daß er beinahe Angst verspürte, doch verstanden hatte er sie nicht. Jury ging an Lyrik eher befangen, ja sogar schüchtern heran, er zog sich vorher regelrecht BrandschutzHandschuhe an. Gedichte konnten einen überrumpeln. Er öffnete Vier Quartette und sah, daß auch hier ganze Abschnitte dick unterstrichen und ab und zu Kommentare an den Rand geschrieben waren:
    Wer dann erfand die Qual? Liebe.
    Jury schlug das Buch abrupt zu, die nächsten Worte in dem Opus wollte er sich ersparen. Er wollte nichts über verlorene Unschuld lesen. Oder Rosen, die zu Staub zerfielen. Oder trockene Brunnen.
    Er wollte tiefe Wasser meiden, lieber in flachen waten, was Eliot bestimmt als freiwilligen Gang ins Fegefeuer betrachtet hätte, Na gut, immerhin war es nur die Vorhölle. Liebe. Die Liebe war derart beängstigend. Etwas so schwer zu Findendes sollte nicht so leicht zu verlieren sein. Er schloß das Buch und dachte wieder an Jenny, spürte in dieser ominösen Stimmung, in der man die Katastrophe schon sieht, seinen Erinnerungen nach. Dabei hatte er nur wenige: wie sie auf der anderen Seite eines Grabes stand und dann allein in dem großen, leeren Haus, das sie hatte verkaufen müssen. Und die Begegnungen in dem Trödelladen in einer Seitenstraße der Saint Martin's Lane, wo sie einen Ring anprobiert hatte, den er für eine andere Frau gekauft hatte, und kürzlich in der Ryland Street. Zwischen diesen Treffen lagen Jahre, was sie um so symbolträchtiger machte und mit unausgesprochenen, vielleicht unbewußten Bedeutungen erfüllte.
    Jury begab sich viel lieber auf das dünne Eis des Bewußten. Und vermutete allmählich, daß es mehr als dieses dünne Eis auch gar nicht gab.
    Er öffnete den Gedichtband noch einmal und betrachtete die Titelseite. Es war ein Geschenk von Nils Anders. Angela Hope hatte es auch sehr ernst genommen.
    Die Frau, die in den Laden kam und wissen wollte, was er dort zu suchen habe, stellte sich schließlich als Sukie Bartholomew vor. Ihre Lieblingspose war allem Anschein nach, eine Hand an den Ellenbogen des anderen Arms zu legen und in der anderen Hand ein schwarzes Zigarillo zu halten. Die beiden Arme bildeten ein L, einen Rahmen, in dem der Betrachter Sukie Bartholomew anschauen konnte. Sosehr sie sich auch bemühte, ein Image zu kreieren ... es hatte keinen Sinn. Sie war nicht attraktiv, sondern hager, dünn, möglicherweise Ende Fünfzig, trug aber immer noch blaue Haarspangen, mit denen sie ihr schulterlanges Haar zusammenfaßte und zurückhielt. Es war mausbraun, stumpf geschnitten und mit hellen Strähnchen durchzogen, die wie Silberstaub aussahen. Von zu vielen Friseurbesuchen war ihr Haar ganz strohig geworden.
    Sukie Bartholomew focht einen heftigen Kampf mit sich selbst um ihr Aussehen. Kein Lippenstift, aber brauner Glitzerlidschatten; schlichter Haarschnitt, doch sorgfältige helle Strähnchen; ihr Outfit schrie: »Ich beuge mich dem Diktat der Mode nicht!«, war jedoch das eines Mädchens von fünfzehn und nicht das einer Frau von über fünfzig. Jury schloß aus diesen Widersprüchen, daß sie ziemliche Probleme hatte. Eine schwierige, unzufriedene Frau, die mit sich selbst und deshalb mit dem Rest der Welt nicht zurechtkam. Es sah aus, als wolle sie um keinen Preis in die Falle der Weiblichkeit tappen und sich nicht mit den kleinen Extras schmücken, die Frauen für Männer attraktiv machen. Jury hatte noch nie darüber nachgedacht, aber die Frauen, die er toll fand, kämpften keine offene Schlacht mit sich selbst, ob sie ein wenig Nagellack oder eine Spur Lippenstift auftragen sollten. Er dachte an Fiona, deren Jungbrunnen sich in ihrer Kulturtasche befand und nicht in ihrem Medizinschränkchen, und das wiederum erinnerte ihn an Wiggins. Er durfte nicht vergessen, ihm Blumen zu schicken. Während ihm all das in Sekundenschnelle durch den Kopf ging, lächelte er das Morgenlicht an, das Streifen auf den gewienerten Boden des Ladens malte.
    Er mußte auch Sukie angelächelt haben, denn sie fragte: »Was gibt's zu lachen?« Ihr Ton war feindseliger, als nach solch einem Lächeln zu

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