Blinder Einsatz
hören, was andere dazu sagen. Selbst ein blutiger Anfänger, der gerade einmal die Grundregeln beherrscht, wird sich kaum so dumm anstellen wie sie. Sobald ich mehr weiß, sage ich dir Bescheid. Ich habe dir per Mail die Adresse des Forums geschickt, falls du selbst einen Blick darauf werfen möchtest. Zu der Notiz ›Wir wissen, wer du bist. Wir wissen, wo du bist‹, kann ich allerdings nichts sagen, ich weiß nicht, worauf sich das bezieht.«
»Und die Buchstabenliste?«
»Das sind ziemlich gängige Abkürzungen unter Online-Pokerspielern. ›AA‹ ist eine Hand mit zwei Assen, ›AD‹ eine mit einem Ass und einer Dame, ›Nh‹ bedeutet ›nice hand‹ und ›TY‹ einfach ›thank you‹. Ungewöhnlich ist daran höchstens, dass die beiden letzten Abkürzungen, die Hugh eingekringelt hat, Großbuchstaben enthalten, andererseits, wenn man schnell tippt … Was ich noch nachgeprüft habe: Hugh hat nach dem Abend eures Streits an keinem Internetturnier teilgenommen. Judith dagegen hat in den letzten drei Wochen ziemlich viel gespielt und dabei ohne Ende verloren. Keine Ahnung, vielleicht amüsiert es sie einfach, ihr Geld zu verjubeln. Es kommt öfter vor, dass sehr reiche Spieler sinnlos viel Geld riskieren, das für sie sowieso keine große Bedeutung hat. Leider habe ich nicht genügend Geld, um gegen sie anzutreten, das würde meinem Bankkonto sicher guttun. Wenn du möchtest, komme ich gerne bei dir vorbei.«
»Nein, vielen Dank, sehr nett von dir. Ich habe eine Freundin hergebeten.«
»Ich schaue mich weiter in den Foren um und rufe dich an, wenn mir was auffällt.«
»Meinst du, Hugh könnte so viel Geld verloren haben, dass er in Schwierigkeiten geraten ist?«
»Nein, eigentlich nicht. Auf jeden Fall nicht bei diesen Spielen. Da ging es um andere Summen als die, um die Hugh normalerweise setzt.«
Diese neuen Informationen vergrößerten nur noch die Ungewissheit und die Sorgen von Constance. Wer waren diese Freunde, von denen die Concierge gesprochen hatte? Warum war die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt worden? Hatte diese Judith etwas damit zu tun? All diese Fragen kreisten unablässig in ihrem Kopf.
Sie hatte gelogen, als sie zu Will gesagt hatte, er brauche nicht zu kommen, sie hätte eine Freundin eingeladen. In Wahrheit wollte sie einfach allein sein. Den Rest des Abends lag sie auf dem Sofa und zappte wahllos durch die Fernsehprogramme.
Am nächsten Morgen hielt sie es in der drückenden Atmosphäre dieser Wohnung nicht mehr aus. Sie hatte das dringende Bedürfnis nach frischer Luft, nach Bewegung, sie wollte an gar nichts mehr denken.
Also ging sie in den Jardin du Luxembourg und genoss dort die Wärme des Sommertags. Sie nahm kaum etwas wahr, weder die Menschen noch die Autos. Trotz des Sonnenscheins sah sie die Welt wie durch einen dichten Nebelschleier. Sie lief quer durch den Park und dann über den Boulevard Saint-Michel zur Seine.
Rund um die Sorbonne wimmelte es von Studenten, die dort auf den Terrassen der Cafés saßen und die kostbare Zeit ihrer sorglosen Jugend genossen. Kleine Liebeleien bahnten sich an, Blicke flogen hin und her, man führte lebhafte Diskussionen über Bücher, Freundschaften wurden geknüpft. Ein Tag wie so viele andere, an dem die Mädchen es sich gerne gefallen ließen, wenn die Jungs sie hofierten. Manche von ihnen waren süß, viele linkisch, einige wenige benahmen sich wie Lümmel. Constance dachte an den Tag, an dem Hugh sie in eines der Cafés auf diesem Platz gezogen hatte, mitten aus einer Studentendemo heraus. Von dort aus hatten sie durch die Scheibe beobachtet, wie von links die Studenten mit Stuhlbeinen und Pflastersteinen gegen die Bereitschaftspolizei anstürmten, die eine Kette vor dem Universitätsgebäude gebildet hatte. Der Wirt hatte hinter ihnen rasch die Tür des Lokals verrammelt. So saßen sie wie in einer Glaskugel inmitten der Straßenschlacht, die mehr als eine halbe Stunde lang tobte. Constance war von der Gewaltbereitschaft der Studenten ebenso überrascht wie vom brutalen Vorgehen der Polizisten. Dank Hugh hatte sie unbeschadet etwas miterlebt, das sie bislang nur aus dem Fernsehen kannte.
Auch sonst war sie in Gedanken bei den vielen wunderbaren Momenten, die sie mit Hugh verbracht hatte. Da vibrierte ihr Handy. Beinahe hätte sie ihre Handtasche umgestoßen, so hastig griff sie danach. Es war ihr Chef. Er war abermals ihren Bericht durchgegangen und hatte noch ein paar Fragen. Constance antwortete ihm in einem Ton, der
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