Blinder Einsatz
wieder blickte sie sich nervös um, auf der Suche nach jemandem, der sich ungewöhnlich verhielt. Um mögliche Verfolger abzuschütteln trat sie wiederholt in einen Laden. Das hatte sie bei ihrem Job gelernt – es war nicht neu für sie, beobachtet zu werden und sich auf Schritt und Tritt verfolgt zu fühlen.
Sie befand sich in der Nähe des Forum des Halles, wo es zahlreiche Hotels gab. Erst hielt sie Ausschau nach einer kleinen, diskreten Pension, besann sich dann aber anders. Wenn sie wirklich überwacht wurde, war ein großes, belebtes Hotel besser. Schließlich mietete sie ein Zimmer im Best Western Premier Louvre in der Rue Saint-Honoré und ließ sich mit einem Seufzer der Erschöpfung aufs Bett sinken. Nach wie vor war ihr schwer ums Herz, aber sie fühlte sich etwas entspannter.
Nach einer Weile schaltete sie den Fernseher ein, suchte einen Nachrichtensender und war wieder mitten im Massaker von Nanterre. Sie begann leicht zu zittern, als das Foto von Will erschien. Die Polizei konnte immer noch nicht erklären, was eigentlich geschehen war. Constance wurde klar, dass sie Informationen zurückhielt. Aber sie konnte an nichts anderes denken, als Hugh zu retten.
Als die Reportage zu Ende war, schaltete sie den Ton aus und kramte in ihrer Handtasche nach den Notizen, die sie in der Bibliothek gemacht hatte. Doch sooft sie sie auch durchlas, sie fand keine Verbindung zwischen diesen historischen und biblischen Figuren. »Wir wissen, wer du bist, wir wissen, wo du bist.« An wen war dieser Satz gerichtet? Es war eindeutig eine Drohung, aber war das Verschwinden von Hugh die Folge davon? Constance suchte krampfhaft nach einem verborgenen Sinn. Sie tippte den ganzen Satz in Google ein – vielleicht war es ja ein Zitat aus einem Film oder einem Buch. Sie probierte es auch in Englisch und Spanisch. Resultat: nichts oder Treffer, die ins Leere führten. Dann waren da noch die Buchstabenkombinationen, die Will ihr erklärt hatte, Abkürzungen in der Pokersprache. AA, AD, Nh, TY. »Ass Ass«, »Ass Dame«, nice hand , thank you . Sie versuchte, sie mit Hilfe einer einfachen Buchstaben-Zahlen-Verknüpfung in Ziffern zu übersetzen. Als das nicht weiterführte, nahm sie sich die Buchstaben vor, die Hugh eingekringelt hatte, und schrieb sie nebeneinander. Hugh musste sich etwas dabei gedacht haben, dass er sie hervorhob. Und hatte Will nicht gesagt, dass die Verwendung der Großbuchstaben teilweise unüblich war?
Nh, TY … Warum N, T und Y in Großbuchstaben? NTY. Eine Abkürzung, ein Code? Welche Informationen konnte das enthalten?
Gelegentlich kam es vor, dass Constance in einem der fernen Länder, in die sie von Berufs wegen reiste und in denen sie nicht überall willkommen war, vor einem wichtigen Treffen etwas Bammel hatte. Es half ihr dann immer, sich vor Augen zu führen, dass ihr Gesprächspartner auch nur ein Mensch mit begrenzten Fähigkeiten war, mochte es sich auch um eine sehr hochgestellte Persönlichkeit handeln. Wenn sie sich in seine Rolle versetzte, dann verstand sie besser, was ihr Gegenüber dachte und wie er reagieren würde.
Mit größter Sorgfalt und Genauigkeit erstellte sie die folgende Liste sämtlicher möglicher Buchstabenkombinationen:
NTY
TNY
YNT
NYT
TYN
YTN
Irgendeine davon musste doch eine Bedeutung haben. Sie gab sie nacheinander in Google ein.
NTY: No Thank You – Eine Schweizer Beraterfirma für Versicherungen.
TNY: Tenshi No Yume – Ein japanisches Manga.
YNT: Yami No Team – Ebenfalls etwas, das mit Mangas zu tun hatte.
NYT: New York Times – Die amerikanische Zeitung.
TYN: Die Liebfrauenkirche vor dem Tyn in Prag (Teynkirche).
YTN: Yonhap Television News – Der größte Fernsehsender in Südkorea.
Reichlich Stoff zum Nachdenken: Eine Schweizer Firma, drei Bezüge zu Asien, eine amerikanische Zeitung und eine tschechische Kirche. Gab es eine Verbindung zwischen diesen Elementen, oder hatte nur eine dieser Buchstabenkombinationen etwas zu bedeuten? Oder führte das alles nur in eine Sackgasse? Ihr schwirrte der Kopf, zumal ihr schon dieses simple Buchstabenrätsel deutlich vor Augen führte, wie wenig sie wusste. Zwei Stunden lang klickte sie im Internet herum und versuchte alles zusammenzutragen, was mit ihnen zu tun hatte. Schließlich konzentrierte sie sich auf die New York Times , die sie von Berufs wegen regelmäßig las. Doch wie sollte man etwas Brauchbares aus diesem Meer von Informationen herausfischen? Kultur, Politik, Wirtschaft – wie darin
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