Blinder Einsatz
Schritt und Tritt verfolgt. Aber um das zu bekommen, was er sich erhoffte, musste er sich in Gefahr begeben. Kurz erwog er, den Direktor der Strategieabteilung von Kramer Investment anzurufen, um ihm zu zeigen, dass er nun, da er seine Verfolger abgeschüttelt hatte, wieder am längeren Hebel saß. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass es doch besser war, auf Tauchstation zu gehen. Diese Leute verfügten über ganz andere Mittel als er, und es wäre reiner Selbstmord gewesen, sie zu provozieren. Jetzt, da er wusste, dass für den Konzern einiges auf dem Spiel stand, musste er eine geeignete Strategie entwickeln.
Insgeheim rieb sich Noah die Hände, weil sein Wissen mit jedem Tag mehr wert wurde. Frustrierend war nur, dass er es nicht nutzen konnte, denn bislang wusste er ja nicht, was Kramer Investment konkret vorhatte.
Erst jetzt dämmerte ihm, dass er dem Tod nur knapp entronnen war. Gleich am Morgen hatte er in einem Café gegenüber seinem Haus Posten bezogen. Ein Mann war vor seiner Apartmentanlage auf und ab gegangen. Nach ein paar Stunden hatte ihn der Typ aus dem Gore Hotel abgelöst. Außerdem meldete sich Kramer Investment ständig telefonisch. Unablässig klingelte sein Handy. Alle Anrufe waren mit Rufunterdrückung, doch wenn er dranging, meldete sich niemand. Offenbar wollten sie ihm zu verstehen geben, dass er ihnen ausgeliefert war.
So rasch wie möglich machte sich Noah auf den Weg nach Las Vegas. Er parkte seinen Jaguar in einer Tiefgarage im Stadtzentrum und kaufte sich bei einem indischen Händler einen Anzug und ein paar Hemden. Er mied die Kaufhäuser und großen Straßen der Stadt. Mit Baseballkappe und dunkler Sonnenbrille getarnt fuhr er mit dem Bus zum Flughafen. Sein Chef hatte ihm auf seinen dringenden Wunsch hin eine Woche Urlaub genehmigt. Momentan war glücklicherweise nicht viel los, und so konnte er das, was unbedingt erledigt werden musste, an seine Kollegen abgeben.
Las Vegas, 10. Juli
Im Flugzeug studierte Noah den Veranstaltungskalender von Las Vegas. In den nächsten Tagen gab es die Voraufführung eines Films, eine Musicalpremiere, eine LAN-Party, eine Lasershow am Brunnen des Bellagio und noch vieles mehr. Alles wurde entweder direkt über Kramer Investment organisiert oder indirekt durch verschiedene Firmen, die der Konzern vor Kurzem gekauft hatte. Noah versuchte den roten Faden zu finden, der sich hinter all diesen Investitionen in der Unterhaltungsbranche verbarg. War es ein genialer Schachzug, oder würde der Schuss nach hinten losgehen? Dem sorgsam gehüteten Geheimnis haftete der Geruch des Geldes an. Sauberes oder schmutziges? Ständig stellte Noah neue Hypothesen auf, suchte Details, die er zu einem Bild zusammenzufügen versuchte. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Seit fast dreißig Stunden hatte er kein Auge zugetan. Und gleich würde er in einer Stadt landen, die niemals schlief. Der Stress hielt ihn wach, aber wie lange noch?
Wie alle, die zum ersten Mal nach Las Vegas kamen, war Noah wie berauscht vom Trubel und dem eigenartigen Gefühl, die Welt sei in eine zu enge Flasche gezwängt worden und könne jeden Moment explodieren. Schon beim Aussteigen aus dem Flugzeug war ihm lähmende Hitze entgegengeschlagen.
In den ersten zwei Tagen ließ Noah sich treiben, suchte alle Casinos und Theater auf. Manchmal waren sie allerdings so überfüllt, dass es unmöglich war hineinzugelangen. Andauernd machte er neue, flüchtige Bekanntschaften. Immer wieder ließ er im Gespräch eine Bemerkung über Kramer Investment fallen und beobachtete die Reaktionen, doch im Augenblick schien niemand seine Anspielungen zu verstehen. Auf der LAN-Party fielen ihm zwei Mitglieder der amerikanischen Regierung auf, unter anderem der Staatssekretär für Wirtschaftsfragen. Doch nirgends entdeckte er einen Vertreter von Kramer Investment. Der Konzern war allgegenwärtig, aber nicht sichtbar. Eine effiziente Strategie. In einiger Entfernung kam es zu einem Zwischenfall mit einer jungen Frau, doch die Ordnungskräfte schafften sie schnell weg. Niemand hatte wirklich gesehen, was vorgefallen war, doch jeder hatte sichtlich Spaß daran, sich das Schlimmste auszumalen und allen davon zu erzählen.
Trotz seines Elans war Noah in diesen zwei Tagen kein Stück weitergekommen, und manchmal hielt er seine Ängste schon für pure Einbildung. Letztlich ging es doch nur darum, ein Produkt wie Doc Fountain in einer neuen Branche zu pushen – ein Businessplan, den ein Student im zweiten Semester
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