Blinder Einsatz
wenn man es am wenigsten erwartet, traf ich eine Ärztin, die für eine humanitäre Organisation arbeitete und wesentlich mehr Qualitäten als nur ihre Diplome zu bieten hatte: Ihr Haar war kastanienbraun, ihr Gesicht zart und ihr Lächeln schüchtern. Wir redeten über dieses und jenes, und ich verliebte mich in ihr Lachen und die Art, wie sie sich für ihre Überzeugungen einsetzte. Es kam, wie es kommen musste, wir küssten uns, und ihre Lippen sagten mir, dass ich die richtige Wahl getroffen hatte.
Mein Lebensrhythmus änderte sich. Ich las Zeitung und begann wieder zu schreiben, mein Dasein verlief wieder in geordneten Bahnen. Helen arbeitete viel und kam nicht jeden Abend nach Hause. Ende 1983 lief ihr Vertrag aus. Sie musste in die USA, nach Carolina zurückkehren. Ohne lange zu überlegen nahm ich ihren Vorschlag an, sie zu begleiten.
Wieder zu Hause besuchte ich meinen Bruder, der gerade seine Karriere als Baseballprofi bei den Chicago Bulls beendete. Er hoffte auf eine Anstellung im Führungskader seines Clubs. Er wohnte in einer großen Villa in einem Nobelvorort und hatte drei muntere Kinder. Aber meine Neffen blieben mir fremd. Sie waren für mich nur Blutsverwandte, ich wurde nicht mit ihnen warm. Nach einigen Tagen reiste ich wieder ab, um ein anderes Leben zu führen. Ich fuhr zum Grab unserer Eltern nach Champaign in Illinois. Sie waren dort beerdigt, wo sie aufgrund des Kriegs die letzten fünfunddreißig Jahre ihres Lebens verbracht hatten. Ich kaufte einen neuen Grabstein aus Marmor und unterhielt mich ein paar Minuten mit ihnen. Eine letzte Unterredung in Form eines Versprechens.
Ich war wieder unternehmungslustig und verspürte den Wunsch, Karriere zu machen, mich voll und ganz für ein ehrgeiziges Projekt einzusetzen. Dank meiner wiedererwachten Neugier interessierte ich mich für alles, was sich mir bot. Eine Nachricht ließ mich besonders aufhorchen: Am 24. Januar 1984 brachte Apple den ersten Macintosh auf den Markt. Ich erinnere mich noch genau an die Werbung, die zur Halbzeit des Super Bowl eingeblendet wurde. Ich wollte Teil dieses Abenteuers sein, unbedingt. Voller Enthusiasmus stellte ich mich bei Apple vor und wurde in das Creative Team aufgenommen, dessen Aufgabe es war, den Computer von morgen zu planen. Alle waren wir von der Zukunft dieser neuen Technik überzeugt. Wir sollten an den zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten tüfteln, ohne uns um die technische Umsetzung zu kümmern. Wir hatten alle Freiheiten, Neues auszuprobieren. Meine Arbeit bestand darin, meiner Zeit zehn bis fünfzehn Jahre voraus zu sein. Ich beherrschte vier Sprachen perfekt, was ich nutzte, um die ausländische Presse auf der Suche nach neuen Ideen zu durchforsten.
Die zweite Hälfte der 1980er Jahre war für Helen und mich eine traumhafte Zeit. Wir lebten in Kalifornien, widmeten uns ganz unserer Arbeit und fanden dennoch Zeit füreinander. Nichts schien unsere Beziehung gefährden zu können.
Das Jahr 1990 brachte eine große Veränderung: Wir wurden Eltern einer kleinen Tochter. Helen verbrachte nun mehr Zeit zu Hause, während ich mich weiter in neue Projekte stürzte.
Ich war überzeugt davon, dass der Computer über kurz oder lang das ideale Kommunikationsmittel werden und Menschen überall auf der Welt miteinander verbinden würde.
So suchte ich in meinem Umfeld und unter meinen Kontakten in der florierenden Computerbranche nach einem Kompagnon. Bald hatte ich jemanden gefunden, der genauso verrückt war wie ich und gemeinsam mit mir eine neue Firma aufbauen wollte. Unser Ziel war es, der erste Internetanbieter für die breite Masse zu werden. Bis dahin war der Zugang zum Internet den Universitäten und Wissenschaftlern vorbehalten. Die Öffentlichkeit ahnte nicht einmal, welche Möglichkeiten hier schlummerten. Unser Ziel war es, eine Software zu entwickeln, die es Privatpersonen ermöglichte, sich von überall in ein unendliches Informationsnetz einzuklinken. Wir mussten gegen Ablehnung und Unverständnis ankämpfen, doch wir waren fest davon überzeugt, dass hier ein Geschäftsfeld mit enormem Wachstumspotenzial lag. Es waren Jahre harter Arbeit mit zahllosen Meetings und wenig freier Zeit. Helen war weiter im Krankenhaus beschäftigt und kümmerte sich um unsere Tochter. Heute sehe ich, dass ich meine Rolle als Vater damals zu sehr vernachlässigt habe. Abends kam ich spät nach Hause, Helen und ich erzählten uns noch immer alles, und nach meinem Empfinden hatte unsere Beziehung nichts von
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