Blinder Einsatz
Dunkeln.
Sander verstand nicht, warum die Täter Lars alles gestohlen hatten. Sie hätten sich mit dem Geld, vielleicht noch mit dem Zimmerschlüssel begnügen können. Ganz offensichtlich hatten sie keinerlei Indizien hinterlassen wollen. Das Bellagio, in dem Lars abgestiegen war, hatte sein Verschwinden erst nach Ablauf der Reservierungsdauer, das heißt eine Woche nach seinem Tod, gemeldet. Dann war noch einmal ein Monat vergangen, bis schließlich die niederländische Polizei aufgrund einer DNA-Analyse informiert worden war. Und die ganze Zeit über hatte niemand von Lars gehört. Unterdessen hatte die niederländische Polizei den Mord an dem Ehepaar Loy bereits als ungelöst zu den Akten gelegt.
Sander bedankte sich bei dem Studenten, der sich schon wieder in seine Basketball-Zeitschrift vertieft hatte, die über die NBA Season und den Sieg der Boston Celtics berichtete.
Er begab sich zum Tatort ans andere Ende der Stadt. Eine düstere Gasse, wie geschaffen für einen nächtlichen Hinterhalt. Kein einziges Geschäft in der Nähe. Sander zog Erkundigungen ein und erfuhr, dass lediglich der Notausgang eines Nachtclubs auf diese Straße führte. Hier war Lars offenbar auf die falschen Leute getroffen. War er selbst in dem Nachtclub gewesen? Er wollte den Angestellten ein Foto von Lars zeigen, aber um diese Zeit war dort niemand anzutreffen.
Bevor er zur Polizei zurückkehrte, machte Sander einen Abstecher ins Bellagio, um dort trotz des Trubels der WSOP ein paar Fragen zu stellen.
Er hoffte, jemanden zu finden, der sich an Details erinnerte. Einem Dealer, der gerade Pause hatte, war Lars im Gedächtnis geblieben: ein junger, lässiger Typ, der beim Poker unglaublich viel Geld gewonnen hatte. Er hatte fast zwanzig Stunden ohne Pause durchgespielt, um sich dann mit den Profis in dem Bobby’s Room genannten Saal zu messen. Dort hatte er schließlich alles verloren, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Als Sander einige Hotelangestellte dazu befragte, begriff er schnell, dass das nichts Außergewöhnliches war.
»Wissen Sie, wir haben im Bellagio 3600 Zimmer. Das heißt, Tag für Tag sind ebenso viele Spieler hier unterwegs, die einen gewinnen, die anderen verlieren, und manchmal eben sehr viel. Das ist unser Alltag. Vielleicht war Ihr Mann einen Tag lang das Gesprächsthema in der Bar, aber dann kommt schon wieder etwas Neues. Die weltbesten Spieler steigen hier ab, um die größten Cash-Game-Partien zu spielen. Uns lassen all diese Geschichten über Gewinne und Verluste ziemlich kalt.«
»Wäre es möglich, die Videoaufnahmen des Casinos zu sehen? Sie haben doch bestimmt überall Überwachungskameras?«
»Natürlich, alles wird hier kontrolliert, das Personal, die Spieler. Aber ob Sie sich das anschauen können, weiß ich nicht, das müssen Sie mit dem Sicherheitsdienst klären.«
Sander versuchte sein Glück, stieß jedoch auf kategorische Ablehnung. Es gelang ihm nicht einmal, den Security-Chef zu sprechen. Man forderte ihn brüsk auf zu verschwinden. Wenn er weiterkommen wollte, war Sander wirklich auf die Hilfe der Polizei angewiesen.
Mit der festen Absicht, Kommissar Pinchao oder einen anderen Verantwortlichen zu sprechen, kehrte er aufs Kommissariat zurück. Doch dort stieß er auf dieselbe ausweichende und ablehnende Reaktion wie zuvor. Diesmal aber gab Sander nicht so schnell auf, sondern verwies auf seine angeblichen Beziehungen und die Wichtigkeit der Eltern des jungen Mannes. Ohne Erfolg. Er beschloss zu warten. Am Ende des Ganges entdeckte er ein Büro, das einem Kommissar gehören konnte. Durch die Mattglasscheibe sah er die Schatten von Personen. Er blieb einfach in der Nähe, für den Fall, dass jemand herauskommen sollte, was tatsächlich eine halbe Stunde später der Fall war.
»Entschuldigungen Sie …«
Der Polizist, der ihn abgewiesen hatte, mischte sich ein:
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt …«
»Das ist mir egal. Ich will Ihren Chef sprechen. Bitte!«
»Was ist hier los?«, fragte der Mann, der soeben sein Büro verlassen hatte.
»Nichts, Kommissar, nur …«
»Ich muss mit Ihnen reden«, unterbrach ihn Sander. »Ich brauche Informationen zu einem Mordfall.«
Kommissar Pinchao trat näher.
»Wer sind Sie?«
»Sander Erwin von der Versicherung Meert & Lodden. Ich bin extra aus Amsterdam angereist und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Der Kommissar musterte ihn gleichgültig, schien aber über die Störung leicht verärgert. Mehr um Sander loszuwerden als aus
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