Blinder Hass
Milchstraße«, sagte Carlson zu Virgil, ohne die Schwester zu beachten. »Es war der Mann im Mond, und er ist hier. Der Mann im Mond ist hier. Ich hab ihn gesehen.«
Sie begann erneut zu schluchzen. Die Schwester starrte Virgil wütend an. »Gehen Sie.«
Virgil nickte, versuchte es aber ein letztes Mal. »Betsy? Kennen Sie den Namen von dem Mann im Mond?«
Sie blickte auf und fragte: »Was ist? Wer sind Sie?«
Bevor er hinausging, blieb Virgil an der Rezeption stehen und fragte die Frau dort, ob sich jeder eintragen müsse.
»Nein, noch nicht. Das kommt bestimmt als Nächstes.«
»Können Sie sich erinnern, ob Betsy Carlson überhaupt mal Besuch bekommen hat?«
»Ich meine, ja. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wer das war, noch nicht mal, wie er aussah. Ich kann mich nur erinnern, dass sie mal jemand besucht hat, weil es so ungewöhnlich war. Das muss … ach, Jahre her sein.«
»Ich ermittle in einem Mordfall drüben in Bluestem«, sagte Virgil. »Ein Mann namens Bill Judd. Er war Betsys Schwager. Wissen Sie, ob Judd für ihren Aufenthalt hier bezahlt hat?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Das sollten Sie Dr. Burke fragen. Aber soweit ich weiß - ganz unter uns -, hat Betsy von ihren Eltern was geerbt, und als sie hier aufgenommen wurde, wurde das als Treuhandvermögen angelegt. Ich glaube, das ist alles, was sie hat.«
SIEBEN
Worthington lag dreißig Meilen östlich von Bluestem, ein weiterer Punkt auf der I-90. Auf dem Weg dorthin wählte Virgil Joan Carsons Handynummer. Wo auch immer sie sein mochte, sie war nicht zu erreichen, also hinterließ er ihr eine Nachricht. »Hier ist Virgil. Ich werd wohl so gegen sechs zurück sein, falls du Zeit hast, ein Häppchen mit mir zu essen … Ich würde dich gern heute Abend sehen. Äh, fing doch ganz gut mit uns an, fand ich jedenfalls. Meld dich doch mal bei mir.« Er hätte ihr Blumen schicken sollen, überlegte er.
In Worthington setzte er sich in einen Coffee Shop, nahm seinen Laptop heraus, bestellte einen Becher Kaffee, loggte sich ins Internet ein und holte einen Stadtplan auf den Bildschirm. Die Stadt war doppelt so groß wie Bluestem, aber er brauchte trotzdem nur eine Minute, um sich zu orientieren und die Evening Street zu finden.
Er nahm den Kaffee mit ins Auto, fuhr in den westlichen Teil der Stadt, erreichte die Evening Street, vermutete, dass er nach links musste, vermutete richtig und fand das Haus von Michelle Garber, ein Nachkriegshaus im Cape-Cod-Stil, das hellgelb gestrichen war, mit grünen Fensterläden und zwei Mansardenfenstern oben im Dach über der Eingangstür. Eine Einzelgarage mit einem Flachdach war offensichtlich später auf der linken Seite angebaut worden, was dem Haus ein leicht schiefes Aussehen verlieh. Aber besser schief, als in Minnesota im Winter gar keine Garage zu haben.
Garber war, wie Margaret Laymon gesagt hatte, geschieden. Und Virgil dürfe sich ruhig auf Margaret berufen, wenn er sich vorstellte.
Garbers Haus machte einen verwaisten Eindruck. Virgil parkte davor, klopfte an die Tür, erhielt keine Antwort und sah auf seine Uhr. Hoffte, dass sie nicht in Frankreich war. Vor dem Nachbarhaus stand ein Fahrrad auf der Eingangsstufe. Also ging er dorthin und klopfte. Ein verschlafen aussehender Junge im Teenageralter kam zur Tür und kratzte sich an den Rippen. »Ja?«
»Hi. Weißt du, ob Miz Garber von nebenan da ist? Ich meine, es ist niemand zu Hause, aber sie ist doch nicht etwa verreist?«
»Nee. Sie gibt Sommerkurse an der Schule.« Der Junge drehte sich um und ging zurück ins Haus. Dabei fiel sein Blick anscheinend auf eine Uhr, denn er drehte sich noch mal um und sagte: »Sie müsste in zehn bis zwanzig Minuten zurückkommen. Sie geht zu Fuß.«
Virgil kehrte zu seinem Truck zurück, fuhr den Computer hoch, um zu probieren, ob er sich irgendwo in ein offenes Netzwerk einklinken könnte, fand aber nichts, fischte stattdessen seine Kameratasche von hinten hervor und begann, das Nikon-Handbuch durchzuarbeiten.
Diese verdammten Dinger waren Computer mit Linsen, aber um seine Artikel besser zu verkaufen, musste er anständige Fotos mitliefern. Mit Zeichnungen oder Bildern könnte er sie vielleicht sogar noch besser zu Geld machen. Gemalte Illustrationen waren bei den schickeren Jäger- und Anglermagazinen sehr gefragt. Auf dem College hatte er an einem Kurs in botanischer Illustration teilgenommen, und er hatte schon daran gedacht, sich in Mankato für einige Mal- und Zeichenkurse einzuschreiben, in
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