Blinder Hass
Gesichts war aufgerissen und blutig, ihr Mund leicht geöffnet, und eine Seite ihres Körpers war offenbar voller blauroter Blutergüsse. Sie war eindeutig tot. Es stand nichts dabei, kein Name, kein Datum.
Das andere war eine Hypothek vom 11.5.1970 für das Haus, in dem die Schmidts ermordet worden waren. Das Hypothekendarlehen kam von Bill Judd senior, hatte eine Laufzeit von fünfzehn Jahren mit einem Zinssatz von vier Prozent. An die Hypothek war eine Tilgungsbescheinigung geheftet, aus der hervorging, dass 1985 alles bezahlt war, also genau rechtzeitig.
Virgil war sich nicht sicher, wie hoch 1970 die Darlehensraten für Hypotheken gewesen waren, aber vier Prozent kamen ihm niedrig vor. Die monatlichen Zahlungen waren mit 547 Dollar angegeben, was ihm wiederum für die damalige Zeit viel erschien. Vielleicht gehörte zu dem Haus noch ein Stück Land, überlegte Virgil. Er würde das prüfen.
Stand der Tod der Frau irgendwie mit der Gewährung des Hypothekendarlehens in Verbindung? Zu der Zeit war Schmidt wohl erst seit ein paar Jahren Sheriff gewesen. Hatte Judd etwas mit dem Tod der Frau zu tun gehabt?
Oder Judd junior? Virgil wusste nicht genau, wie alt Judd junior war, aber er schien an die sechzig zu sein. Wenn der Zwischenfall im Zusammenhang mit dem Foto zu der Zeit stattgefunden hatte, als Judd Schmidt das Darlehen gegeben hatte, dann wäre Junior damals Anfang zwanzig gewesen, das typische Alter von Frauenmördern. Darüber musste er noch genauer nachdenken.
Er nahm erneut das Foto und betrachtete es längere Zeit. Der Abzug war schon etwas verblasst, doch die Aufnahme war gut gemacht - professionell gemacht. Hatten die Zeitungen damals schon die Möglichkeit, Farbfotos zu drucken? Könnte er auf diese Weise an ein Datum kommen? In einer Ecke des Fotos sah er Geräte, die seiner Meinung nach keinen medizinischen Zwecken dienten. Es könnte sich um Vorrichtungen zum Einbalsamieren handeln, aber da er nie irgendwelche Bestattungsutensilien gesehen hatte, war er sich nicht sicher.
In der Bank gab es einen Farbkopierer. Er machte zwei Kopien von dem Foto, mietete ein neues Fach an, bekam einen neuen Schlüssel und schloss alles ein bis auf die Kopien. Er hatte den Filialleiter gefragt, ob er den Kopierer benutzen könnte, ohne dass ihm jemand über die Schulter sah. Als er damit fertig war und die Schmidt-Papiere wieder eingeschlossen hatte, fragte ihn der Banker, ob er etwas gefunden hätte.
»Sie würden es nicht glauben, wenn ich es Ihnen sagte«, antwortete Virgil. »Aber ich denke, wir kommen endlich voran.«
Der Banker starrte ihn mit offenem Mund an. Erzähl’s ruhig herum, dachte Virgil.
Als Nächstes ging er zu dem Schließfach, in das man die Papiere von Judd senior gelegt hatte, nachdem die alte Box aufgebohrt worden war. Während ihm der Banker als Zeuge über die Schulter blickte, nahm er erst das Geld heraus, dann sämtliche Papiere, legte das Geld wieder hinein und schloss die Box wieder. Die Papiere nahm er mit in eine Kabine und begann sie durchzusehen. Es stand absolut nichts über die Schmidts oder die Gleasons darin.
Es handelte sich ausschließlich um Geschäftsunterlagen, und das Einzige, was eindeutig daraus hervorging, war, dass Judd senior seinem Sohn im Laufe der Jahre mindestens zwei Millionen Dollar geschenkt hatte - Kopien von Schenkungsurkunden waren sorgfältig mit anderen Steuerunterlagen zusammengeheftet worden. Außerdem hatte er ihm noch eine Million geliehen.
Der Junge war also bei seinem Vater hoch verschuldet gewesen, aber da der alte Judd ohnehin todkrank gewesen war, war es unwahrscheinlich, dass Junior das Risiko eingegangen wäre, seinen Tod zu beschleunigen, wo er das Vermögen doch sowieso erben würde.
Als Virgil mit den Safe-Boxen fertig war, führte ihn der Filialleiter zu einem Computerterminal im Büro des stellvertretenden Direktors und loggte ihn in ein Bankprogramm ein, in dem eingescannte Schecks gespeichert waren. »Die Abbildungen reichen bis 1959 zurück. Die frühen sind manchmal ein bisschen verschwommen, weil sie zunächst auf Mikrofilm waren und später erst vergrößert und dann eingescannt wurden.«
Virgil sah zuerst das Konto von Roman Schmidt durch, und es ging ihm ein Licht auf. Zwischen 1970 und 1985, als Schmidt angeblich eine Hypothek für sein Haus abbezahlte, fand er keinen einzigen Scheck, der wie eine Hypothekenzahlung aussah.
Das war doch was, dachte er.
Als er dann ein halbes Dutzend Konten von Judd durchsah, stieß
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