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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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wurde langsamer, ihre Kraft verließ sie. Vielleicht glaubte sie aber auch nur, sie wäre der Gefahr entronnen.
Die Vorstellung gefiel ihm! Da saß sie und schöpfte Hoffnung, fand sich mit ihren Verletzungen ab und war dankbar, noch am Leben zu sein, während der eigentliche Feind sie längst mit seinen schwarzen Augen von oben fixierte.
    Er blieb reglos sitzen und versank in den Regenwald. Spürte, wie die hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit da drinnen seinen Körper umgaben, wie es ihm den Schweiß aus den Poren trieb, lauschte den fremdartigen Geräuschen, diesem ständigen Singsang aus Vogelgezwitscher, Fiepen, Rascheln, Surren, Kreischen und Zischen, nahm die imaginären Gerüche auf, diesen süßen Duft von Verwesung und Wiedergeburt, den Kreislauf des Lebens, dem alles unterworfen war. Und wie immer, wenn er dort saß, verließ er seinen Körper, dieses ungeliebte Gefäß, das alle anderen sehen konnten. Er schwebte durch den Regenwald, erkundete die fremde, organische, vor Lebendigkeit zuckende Welt, ohne sich über Gefahr und Tod zu sorgen. Es war ein Ritt auf den Wolken, ein Freiflug vom Leben, eine transzendentale Erfahrung von unfassbarer Schönheit.
    Leider zwang ihn seine zunehmende Müdigkeit zurück auf den Boden.
    Die Nacht war anstrengend gewesen. Er hatte die Neue zuerst sicher unterbringen und dann noch den langen Rückweg in Kauf nehmen müssen. Gern hätte er sich mit ihr beschäftigt, aber die Sedierung würde noch bis in den Vormittag anhalten, also musste er mit diesem Schauspiel hier vorliebnehmen.
    Etwas regte sich im Blätterdach!
    Die Mamba!
    Hatte sie also doch Hunger!

    Zunächst bewegten sich nur einzelne Blätter, vibrierten und erstarrten wieder. Er konnte den Körper nicht sehen, nur dessen Auswirkungen auf seine Umwelt. Er richtete sich auf, brachte sein Gesicht näher an die Scheibe und riss die Augen weit auf.
    Wo bist du?
    Zeig dich, Baby!
    Plötzlich glitt ihr schlanker Kopf geräuschlos aus dem Blätterdach. Die dunklen Augen starrten zu Boden, fixierten die Maus, die schon eine ganze Weile auf der Stelle saß. Und diese schien zu spüren, dass nun doch wieder Gefahr drohte. Sie hob das Köpfchen, als wolle sie nach oben schauen, hatte vielleicht vergessen, dass ihre Augen nicht mehr da waren. Die feinen Härchen an der Nase und die Nase selbst vibrierten, sie schnüffelte wie von Sinnen, versuchte, ihre Blindheit olfaktorisch wettzumachen.
    Ach, wie er diesen Moment liebte, in dem die Maus begriff, dem Tode geweiht zu sein und gar nichts daran ändern zu können. Er liebte und fürchtete ihn zugleich, war hin und her gerissen und geradezu magisch angezogen. In diesem Moment verspürte auch er diese tiefsitzende Urangst; die Angst der Kreatur vor dem Stärkeren, dessen Nahrung sie war. So einfach und schlicht, eine ewig währende Wahrheit.
    Wieder begann die Maus hektisch umherzurennen. Wieder stieß sie gegen alles, was im Wege stand. Die Schlange über ihr blieb völlig ruhig. Ihre glanzlosen Augen bewegten sich nicht. Er konnte nur den Kopf und ein kleines Stück des schlanken grünen Körpers sehen, der Rest verbarg sich noch im Blätterdach.
    Ohne Vorwarnung ließ die Mamba sich fallen.
    Der zwei Meter lange Körper landete sanft auf dem Holzstreu
und bildete sofort einen Kreis um die Maus. Die Maus blieb heftig zitternd sitzen, hob wieder den Kopf an, als hoffte sie, mit ihren blinden Löchern doch noch etwas sehen zu können.
    Schon zuckte der Kopf der Schlange vor. Eine wuchtige und doch elegante Bewegung. Die leicht nach hinten gebogenen Zähne gruben sich tief in den Körper der Maus.
    »Ja!«, rief er und klatschte in die Hände.
    Gebannt beobachtete er das Schauspiel. Die Wüstenrennmaus zuckte noch ein paarmal, unternahm aber keinen Fluchtversuch.
    Erst als die Maus sich nicht mehr rührte, begann die Schlange zu fressen. Sie hakte ihren Unterkiefer aus dem Gelenk und schob ihn unter den reglosen kleinen Körper. Nach und nach und eigentlich enervierend langsam verschwand die Maus mit dem Kopf voran im Inneren der Schlange. Zwei Meter sich windendes, grünes Muskelgewebe sog seine Beute mit peristaltischen Bewegungen, aber scheinbar ohne große Anstrengung, in sich hinein. Durch die Ausbuchtung konnte er genau sehen, wo die Maus sich befand.
    Was jetzt kam, war langweilig und dauerte lang. Der Verdauungsprozess interessierte ihn nicht. Die Maus war tot, es gab keinen Schrecken, keine Jagd, kein Erkennen der eigenen Hilflosigkeit mehr. All das, was ihn so sehr

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