Blinder Instinkt - Psychothriller
zu werden.
Sarah stieß sich die Hüfte, die Schulter und das rechte Knie, fand aber einen Ausgang. Nachdem sie sich durch die Pendeltür getastet hatte, spürte sie einen wesentlich größeren und kühleren Raum. Ohne stehen zu bleiben, lief sie weiter, bis sie an etwas stieß, das sich wie ein Stuhl anfühlte. Sie drängte sich daran vorbei, ging weiter, stieß bald an
den nächsten und kurz darauf an einen Tisch. Sie konnte das alles nicht einordnen, aber ein großer Raum mit Stühlen und Tischen musste wohl so ähnlich sein wie die Mensa in ihrem Wohnheim.
Das Dröhnen hörte plötzlich auf.
Sarah verharrte und lauschte.
Nichts, es war nichts mehr zu hören.
Sie musste sich beeilen, musste ein Versteck finden. Sicher würde er gleich zurückkehren. Weil ihr nichts anderes einfiel, ließ Sarah sich auf die Knie fallen und krabbelte weiter vorwärts. Schnell geriet sie an den nächsten Stuhl, zwängte sich daran vorbei und zwischen allerlei Holzbeinen hindurch. Über ihr war plötzlich ein Dach, und als sie rund um sich herumtastete, begriff sie, dass sie unter einem Tisch hockte, um den einige Stühle standen und von dem eine Decke herunterhing. Sarah hoffte, dass er sie darunter nicht sehen würde. Also blieb sie einfach dort hocken, zog die Beine dicht an den Oberkörper und umklammerte die Knie mit den Armen.
Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr so gut.
Die frische Energie der Milch schien bereits verschwunden zu sein.
In ihrem Bauch grummelte es, und er zog sich schmerzhaft zusammen. Hatte sie die kalte Milch zu schnell getrunken? Hoffentlich musste sie sich nicht übergeben! Das war ihr schon einmal passiert, als sie nach einem scharfen Essen fast einen ganzen Liter kalten Apfelsaft getrunken hatte.
Obwohl sie dagegen ankämpfte, spürte sie etwas in ihrem Hals aufsteigen.
Jetzt nicht, o bitte, nicht jetzt, er darf mich doch nicht hören!
Aber sie hörte ihn!
Geräusche. Poltern. Schwere Schritte. Ein Schleifen. Dann einen Moment Stille, in dem sie wieder nur ihren Bauch hörte, der immer lauter wurde.
»Neeeeiiiiiiiiiiiiiin!«, brüllte plötzlich eine Stimme, die ihr völlig fremd vorkam.
Wieder Schritte, hektisch diesmal. Er befand sich jetzt in dem Raum, in dem sie sich versteckt hatte.
»Wo bist du?«, rief der Mann jetzt mit seiner üblichen Stimme. Sie klang völlig anders als das gebrüllte Nein kurz zuvor. Sarah machte sich noch ein bisschen kleiner und befahl in Gedanken ihrem Bauch, dass er doch still sein möge.
»Sarah, mein Schatz, komm doch heraus. Ich mag solche Versteckspiele nicht so gern. Es ist hier auch viel zu gefährlich für dich. Alles steht mit alten Dingen voll. Du könntest dich verletzen. Das willst du doch nicht, oder?«
An seiner Stimme und dem Schallverlauf konnte Sarah hören, dass er sich langsam durch den großen Raum bewegte. Mal direkt auf sie zu, dann wieder weg. Also konnte er sie unter dem Tisch nicht sehen. Wenn sie ganz still und ruhig sitzen blieb, sich nicht rührte, dann würde er sie vielleicht nicht finden!
»Ach, Sarah, mein kleiner Schatz, du musst doch keine Angst haben vor mir. Ich tue dir doch nichts. Lass uns doch Verstecken spielen, ja? Du musst mir aber eine Chance geben. Kennst du das? Mäuschen mach mal Piep! Jetzt musst du Piep machen, ganz leise nur, und ich muss versuchen, dich zu finden. Und danach essen wir ein großes Eis. Versprochen!«
Sarah hörte zwar, was er sagte, es klang auch verlockend, und seine Stimme war so nett, aber still in ihrem Kopf sagte
sie sich immer wieder diesen einen Satz, den sie sich vor ein paar Tagen eingeprägt hatte, nachdem er ihr sein wahres Gesicht gezeigt hatte:
Du darfst ihm nicht vertrauen, er ist nicht nett, du darfst ihm nicht vertrauen, er ist nicht nett.
Dieses Mantra hielt sie davon ab, unter dem Tisch hervorzukriechen. Aber leider wurde ihr Bauch immer lauter, die Krämpfe immer schmerzhafter. Sie wusste wirklich nicht, wie lange sie das noch aushalten konnte. Und würde er dieses Grummeln nicht ebenfalls hören? Es war doch so schrecklich laut!
»Mach mal Piep, kleines Mäuschen!«, sagte er, und es klang sehr nah.
Sarah schwieg, presste sich die Knie noch fester an den Bauch, damit die Geräusche nicht entkommen konnten, und kämpfte verzweifelt gegen die Übelkeit und den Brechreiz an. Sie musste würgen. Milch und Brot stiegen in ihrem Hals hoch.
»Mäuschen, mach mal Piep«, wiederholte er, jetzt schon ungeduldiger. »Ganz wie du willst. Dann hole ich jetzt die Spinnen. Dann
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