Blinder Instinkt - Psychothriller
zusammenzucken. Er war heiß und schmerzhaft, ihr Bauch schien sich dabei umzustülpen, sie bekam keine Luft, Tränen schossen ihr in die Augen. Zweimal hatte sie sich bereits übergeben, jetzt war in ihrem Bauch nichts mehr, was sie hätte erbrechen können.
Als der Krampf abebbte, war sofort der Hunger wieder da. Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren, wusste nicht, ob es Tag war oder Nacht, aber wenn sie nach ihrem Bauch ging, dann musste es gestern gewesen sein, als der Mann sie wortlos und grob gepackt und in den Wald der Tausend Beinchen geschleppt hatte, wo sie dann von der Schlange gebissen worden war. Schon da war sie sehr hungrig gewesen, aber er hatte ihr nichts zu essen gegeben. Wie sie aus dem Wald wieder zurück in das kleine Zimmer gekommen war, wusste Sarah nicht, auch nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber Essen hatte sie nicht gefunden, nachdem sie aufgewacht war. Sie hatte das Zimmer systematisch danach abgetastet.
Anfangs hatte es sowohl gegen die Krämpfe als auch gegen den Hunger geholfen, sich selbst Rechenaufgaben zu stellen. Sarah liebte Mathe, sie war sehr gut darin, und es lenkte den Kopf ab. Doch jetzt kamen die Gedanken ans Essen immer häufiger, und sie konnte sich längst nicht mehr so gut konzentrieren.
Sarah hatte jetzt nur noch einen einzigen Wunsch: Sie wollte, dass der Mann wiederkam! Er musste einfach! Er konnte sie doch nicht hier verhungern lassen. Niemand tat kleinen Kindern so etwas an!
Sarah scheute sich davor, diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken, aber ihr war trotzdem klar, dass der Mann sie entführt hatte, dass er böse war und dass er kleinen Kindern antun konnte, was immer er wollte. Vielleicht saß er ja irgendwo da draußen und wartete nur darauf, dass sie verhungerte! Vielleicht war es auch die Strafe dafür, dass sie sich anfangs geweigert hatte, ihre Milch zu trinken.
Ach, wenn sie jetzt doch nur Milch hätte!
Schöne kühle sättigende Milch!
Sie würde auch freiwillig in den Wald der Tausend Beinchen zurückkehren, wenn sie danach nur etwas zu essen und zu trinken bekommen würde.
»Zweiundzwanzig mal sieben ist …«
»… vielleicht einhundertsechsundfünfzig …«
44
Dunkel und voller Gerüche!
Ein Konglomerat aus Gerüchen, jeder für sich annehmbar, zusammen jedoch unerträglich, lähmend, den Verstand umnebelnd. Feine Staubpartikel flossen mit jedem Atemzug in die Lunge, tief hinein und setzten diese zu. Egal wie sehr er sich auch anstrengte, hatte er doch immer das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. So wurde das Atmen zur Qual, kostete ihn unerhört viel Kraft, lenkte ihn gleichzeitig aber auch ab von der beängstigenden Umgebung.
Hier drinnen war Helligkeit nicht erwünscht, hier herrschten jene Mächte, die sich nur in der Dunkelheit wohl fühlten, die im Innersten absolut finster waren und deren einziges Bestreben es war, das Licht fernzuhalten. Vor unendlich langer Zeit hatten sie sich in diesem Verlies niedergelassen, und nichts und niemand würde sie je wieder daraus vertreiben können.
Neben den jämmerlichen Geräuschen, die er selbst beim Atmen produzierte, hörte er noch etwas anderes: leise, verstohlen, diebisch, aber ständig vorhanden. Es war ein ewiges Kratzen und Krabbeln, ein Zischen und Züngeln, es waren die Wesen, welche die Dunkelheit immer wieder neu gebar. Sie waren nicht riesig, sie hatten keine gewaltigen Klauen und weit aufgerissenen Mäuler, nein, sie waren klein, sie waren flink, sie konnten nagen und kratzen, beißen und saugen, sie waren viel furchteinflößender, als alle großen Dämonen der schwarzen Welt es je hätten sein können. Denn sie waren überall und nirgends, sie zeigten sich nicht, aber er konnte sie hören. Konnte hören, wie sie mutiger wurden, immer näher kamen, den Geruch des Eindringlings aufnahmen und sich fragten, wie er wohl schmecken würde. Noch waren sie vorsichtig, aber nicht mehr lange.
Nicht zu wissen, wann und aus welcher Richtung der Angriff kommen würde - und er würde kommen -, erfüllte ihn mit einer solch panischen Angst, dass in seinem Kopf etwas zu erlöschen begann. Da gab es einen diffusen, nicht zu lokalisierenden Bereich, der nicht gefeit war gegen solch überwältigende Angst, dem nichts anderes übrig blieb, als unter diesem Angriff jämmerlich zu sterben.
Wie konnte Vater ihm das nur antun?
Er hatte doch nichts weiter getan als diese blöden apathischen
Kaninchen ein bisschen mit dem Stock zu ärgern, sie durch den Käfig zu scheuchen, damit sie
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