Blinder Instinkt - Psychothriller
die Ermahnungen, sich zurückzunehmen, waren nur noch einen Dreck wert. Ein paar Minuten hatten seinem Vater gereicht, ihn direkt in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Er war wieder fünfzehn Jahre alt.
Max rang um Fassung. »Ja, ist lange her«, sagte er und trank schnell einen Schluck. Sein Vater ebenfalls, und Max sah ihm dabei erstaunt zu.
»Wenn sie die Regeln nicht einhält, stirbt sie, und dann bleibe ich allein«, sagte sein Vater, nachdem er das Glas abgesetzt hatte. »Also gibt es hier keinen Stoff mehr, falls du dich das gefragt haben solltest. Schon lange nicht mehr.«
»Freut mich zu hören.«
»Ist mir ziemlich egal. Ich mach das nicht für andere, sondern für deine Mutter.« Sein Vater schüttelte den Kopf und wischte sich erneut über die Lippen.
»Was willst du hier … nach der ganzen Zeit? Wir haben unseren Frieden gemacht mit damals, deine Mutter und ich. Und so soll es auch bleiben.«
»Es interessiert dich also nicht, was mit Sina passiert ist?«
»Ändert das noch irgendetwas? Sie ist tot. Ich muss nicht wissen, wie sie gestorben ist.«
Jetzt war Max an der Reihe, den Kopf zu schütteln. »Das kann ich nicht verstehen. Sie war doch deine Tochter!«
»Ich habe meine Tochter und meinen Sohn verloren, und ich hatte zehn Jahre Zeit, mich damit abzufinden. Wenn du nur wegen dieser Sache hergekommen bist, dann trink dein Wasser aus und hau ab. In diesem Haus sprechen wir nicht mehr darüber.«
Weiß glühende Grillkohle war nichts gegen die Hitze, die jetzt in Max’ Kopf schoss. Er atmete tief durch. »Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu streiten, ganz bestimmt nicht. Aber mich interessiert immer noch, was damals passiert ist, und ich hätte gern Antworten.«
»Was für Antworten?«
»Sagt dir der Name Wilkens etwas?«, fragte er einfach drauflos.
»Sollte er?«
»Ist vielleicht jemand, der damals, bevor Sina verschwand, hier geangelt hat. Du hast doch auch am Meerbach geangelt, oder?«
»Na und! Das haben viele gemacht. Und einen Wilkens kenne ich nicht. Ich bin immer mit dem alten Sauter draußen gewesen, bevor er den Löffel abgegeben hat.«
»Sauter? Wie Jens Sauter, mit dem ich zur Schule gegangen bin?«
»Dessen Opa, Richard Sauter, mit dem bin ich oft angeln gewesen. Manchmal war auch sein Neffe dabei, Eduard hieß der, glaube ich. Eigentlich müsstest du das noch wissen. Dem alten Sauter gehörte früher das Gasthaus mit der Kegelbahn drüben in Pennigsahl. Warum interessiert dich das?«
»Lebt der alte Sauter noch?«
»Der ist schon vor zwanzig Jahren gestorben, seitdem steht das Gasthaus auch leer. Und jetzt sag mir verdammt noch mal, warum dich das interessiert? Hat es etwas mit Sina zu tun?«
»Du hast vor ein paar Minuten noch gesagt, es interessiert dich nicht, was mit Sina geschehen ist. Also belassen wir es doch dabei.«
Sein Vater lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken, sah zur Decke empor und presste die Lippen aufeinander. Sein Atem ging schwer, und sein immer noch kräftiger Brustkorb arbeitete hart unter dem roten Hemd. Max sah, wie schlaff und faltig die Haut an seinem Hals war. Als sein Vater den Kopf wieder senkte, waren dessen Augen feucht.
»Deine Mutter hat lange darauf gewartet, dass du zurückkommst, weißt du. Lange. Ich nicht. Ich wusste, dass es so besser ist. Noch drei oder vier Jahre danach hätte ich dir den Schädel eingeschlagen, wenn du wie heute vor meiner Tür aufgetaucht wärst. Aber wenn der Alkohol erst mal aus dem Körper raus ist, ändert sich so einiges. Wir haben aufgehört zu warten, und wir haben aufgehört zu hoffen. Aber eines …« Jetzt beugte sich sein Vater weit vor und sah ihm hart in die Augen. »Eines hat sich nicht geändert und wird es nie. Nämlich, dass du deine Schwester im Stich gelassen und damit unser aller Leben zerstört hast … Und das ist die einzige Antwort, die ich für dich habe.«
Nun war er also endlich raus, der Vorwurf, auf den Max sich vorbereitet hatte. Sein Vater konnte und wollte ihm nicht verzeihen. Verzeihen gehörte nicht in seine Welt. Was einzig und allein daran lag, dass er sich nicht selbst in Frage stellte, nicht sehen konnte, wer damals wirklich schuld gewesen war. Trotzdem hatte Max sich fest vorgenommen, ihm ein für alle Mal klarzumachen, wie es wirklich gewesen war. Er biss die Zähne zusammen, schluckte mühsam und nickte dann.
»Ja, du hast recht, ich hätte damals nicht zum Fußball gehen sollen. Genauso, wie ihr beiden nicht hättet saufen dürfen. Genauso,
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