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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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in seiner Trance das Telefon klingeln hören. Immer und immer wieder.
    Er beugte sich über das Telefon und starrte mit dem offenen rechten Auge auf das Display. Darin stand die Nummer des Anrufers.
    Seine Mutter!
    Die hatte gerade noch gefehlt!
    Konnte sie ihn nicht endlich in Ruhe lassen?
    Er wusste, dass er abnehmen musste. Sie würde nicht lockerlassen, sich am Ende noch in den Wagen setzen und hier vorbeischauen. Wahrscheinlich hatte sie sogar noch einen Schlüssel für den Laden.
    Seine Hand schwebte über dem Telefon. Er war bereit abzunehmen und sich zu melden, hielt aber im letzten Moment inne.
    Konnte das sein? Hatte sie wirklich einen Schlüssel?
    In seinem Kopf entblätterte sich plötzlich eine Idee, so vollkommen und wunderschön wie eine Teichrose, so unglaublich passend und gerecht, dass er sich ihr nicht entziehen konnte.
    Er nahm nicht ab, ließ es klingeln, bis die alte Hexe aufgab. Er stand einfach daneben, genoss jedes einzelne Schellen, und es machte ihm auch nichts aus, dass sein Lächeln schief war und Schmerzen verursachte.
    Er ging in den Laden hinunter. Dort hängte er zuerst ein großes buntes Plakat für ein neues Hundefutter in die Scheibe der Eingangstür. Es passte genau und sorgte dafür, dass niemand mehr einfach so durch die Tür in den Laden schauen konnte.
    Gleich darauf begann er mit den Vorbereitungen.

    Dabei lächelte er die ganze Zeit sein schiefes Lächeln.
    Er würde seiner Mutter den ihr gebührenden Empfang bereiten.

48
    Niemand begegnete Max, während er die Straße hinunterging. Am Schotterweg angekommen, der von der Teerstraße zwischen Feldern hindurch zum Haus führte, blieb Max stehen. Er blickte den Weg hinunter. So wie damals wuchs in der Mitte niedriges Unkraut. Wenn er seine Erinnerung an das Haus ausblendete, wirkte der Weg so, als führe er direkt ins Nichts. Tatsächlich aber führte er in die Vergangenheit. In seine Vergangenheit, und zwar so tief hinein, dass es weh tat.
    Sollte er wirklich?
    Einmal den Entschluss gefasst, hatte er sich von einem Taxi zu seinem Wagen in der Kronengasse bringen lassen und war sofort nach Hesterfeld aufgebrochen, hatte nicht mehr darüber nachgedacht, seine Entscheidung nicht angezweifelt. Mit dem Weg vor Augen sah plötzlich alles anders aus.
    Noch war Zeit umzukehren, noch hatte ihn niemand gesehen.
    Aber das wäre feige! Und Feigheit konnte er nicht ertragen. Sie war ihm zuwider, und zwar weil er sie mit sich herumtrug, seitdem Sina verschwunden war. Um das zu erkennen, musste man weder Psychologie studiert haben noch ein Blitzmerker sein.
    Max betrat den Weg. Heute würde er sich von nichts und niemandem aufhalten lassen. Das Schicksal, Gott, Zufall, was auch immer, bescherte ihm eine zweite Chance, und
die zu nutzen war seine Pflicht. Er war es Sina schuldig. Und sich selbst.
    Zu seiner Linken tauchte das Haus auf. Zuerst das Dach, dann der schiefe Lattenzaun, schließlich das Gebäude selbst, in dem er sechzehn Jahre seines Lebens verbracht hatte. Nichts hatte sich verändert. Der Vorgarten war noch immer verwildert, die Wege voller Kraut, Laub vom letzten Herbst in den Beeten. Von den Holzfenstern, die in der Sonne schmorten, war die Farbe längst abgeblättert. Es war ein mit roten Steinen verklinkertes Haus, ziemlich groß, aber langweilig. Ein viereckiger, langgezogener Kasten mit ebenfalls roten Dachziegeln. Es gab einen Garagenanbau und einen Hühnerstall. Das Grundstück selbst war groß, für städtische Verhältnisse sogar riesig, aber hinter dem Haus genauso verwildert wie der Vorgarten. Die beiden Kirschbäume standen noch und waren gewaltiger, als Max sie in Erinnerung hatte.
    An einem der unteren Äste hing tatsächlich noch die Schaukel, mit der Sina gern geschaukelt hatte.
    War die Zeit hier tatsächlich stehen geblieben?
    Nun, nicht ganz.
    Max bemerkte eine silberne, aus Edelstahl gefertigte Rampe, die am rechten Rand der Stufen zur Haustür hinaufführte. Eine Rampe, wie Rollstuhlfahrer sie benötigten.
    Er drückte die schief hängende Gartenpforte auf und überwand das letzte Stück bis zum Haus. Dort drückte er ohne Zögern auf den Klingelknopf und war überrascht, drinnen tatsächlich eine Glocke läuten zu hören. Auch das alte Holzschild mit den eingebrannten Buchstaben gab es noch. Ungemach. Was für ein hässliches Wort, was für ein makaberer Name. Manchmal glaubte er, es sei der Name, der Unglück über diese Familie gebracht hatte.

    Zwei Minuten vergingen, doch es passierte nichts.
    Max

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