Blinder Instinkt - Psychothriller
mehreren verblichenen
Sauter-Generationen. Alt, dumpf, abgestanden. Irgendwo dazwischen die Gerüche der Tiere und des Futters, aber eben im Hintergrund. Die Tiere spielten hier kaum noch eine Rolle. Es gab drei Aquarien, die sparsam beleuchtet waren, und in denen nur wenige Fische ihre Bahnen zogen. Sie befanden sich auf Brusthöhe an der linken Seite des weit in die Tiefe gehenden Raumes. Viel mehr konnte Franziska auf die Schnelle in dem schlechten Licht aber nicht sehen. Sie drehte sich zu Sauter um, der die Tür in den Rahmen drückte und für einen Moment zu überlegen schien, ob er verriegeln sollte.
Franziska bekam plötzlich ein ganz merkwürdiges Gefühl im Bauch. Ein bedrückendes Unwohlsein, so als wolle ihr siebter Sinn sie vor irgendetwas warnen. Sie betrachtete Sauter genauer. Er war von oben bis unten eingestaubt, auch seine Hände waren schmutzig. Er hielt sich leicht gebückt, die Schultern fielen kraftlos nach vorn, sein Blick hinter den dicken Gläsern der Brille war unstet. Auch schien er ihr absichtlich nicht seine linke Gesichtshälfte zeigen zu wollen. Er stand so zu ihr, dass sie im Schatten blieb. Irgendwas stimmte nicht mit seinem Gesicht.
»Ich kann Ihnen leider nichts anbieten, Frau …«, sagte er.
»Gottlob, Franziska Gottlob. Das macht nichts, Herr Sauter, ich will Sie auch nicht lange von der Arbeit abhalten. Sie scheinen ja gerade viel zu tun zu haben.«
»Wie?«, fragte er geistesabwesend.
Franziska deutete mit einem Nicken auf seine rechte Schulter, die besonders schmutzig war. Es sah wie Kleintierstreu aus, was an dem Pullover haftete.
»Ach so, das, ja, ich … Na ja, im Lager muss dringend aufgeräumt werden. Aber das kann auch ein paar Minuten warten.«
Franziska fixierte ihn, und er wich aus, stellte sich immer noch seitlich, versuchte so verzweifelt seine linke Hälfte unauffällig vor ihr zu verbergen, dass es schon komisch wirkte.
»Herr Sauter«, begann Franziska laut und mit tiefer Stimme, dabei ging sie ein paar Schritte in den Laden hinein. »Sie reinigen doch das Aquarium im Helenenstift hier in der Stadt, nicht wahr?«
»Das ist richtig, ja. Ein schönes großes Becken. Damit sind die meisten Besitzer früher oder später überfordert. Meistens ist es die Wasserqualität, die ihnen zu schaffen macht. Der Ammoniakgehalt, müssen Sie wissen …«
»Wegen der Pflege an sich bin ich nicht gekommen«, unterbrach Franziska seinen aufgesetzten, gezwungenen Redeschwall und ging dabei weiter zwischen den Regalreihen hindurch in die Tiefen des Geschäfts. Ohne Sauter selbst aus den Augen zu lassen. Er folgte, wenn auch langsam und immer so, dass er im Halbschatten blieb.
»Sie haben wahrscheinlich davon gehört, dass aus dem Heim ein kleines Mädchen entführt wurde.«
»Entführt sagen Sie!«, tat er erschrocken. »Das wusste ich nicht. Ich hatte geglaubt, sie sei fortgelaufen.«
»Das ist für ein blindes Mädchen nicht so einfach. Wir gehen davon aus, dass sie entführt wurde. Kennen Sie das Mädchen, Herr Sauter?«
»Ich!? Nein, nicht dass ich wüsste. Wenn ich dort bin, begegnen mir zwar immer wieder Kinder, aber ich merke mir ihre Namen nicht. Es ist natürlich möglich, dass ich sie schon mal gesehen habe. Sehr wahrscheinlich sogar. Ich reinige das Becken ja schon ein paar Jahre, komme zweimal im Monat dort vorbei. Gerade gestern war der fällige Termin.«
Ihr fiel auf, dass er ihr nicht mehr folgte, als sie noch tiefer
in den Laden ging. Er blieb zwischen den Regalen stehen. Gab es hier hinten etwas, das sie nicht sehen sollte? Und warum zeigte er ihr nicht sein ganzes Gesicht? Hier stimmte etwas nicht!
»Haben Sie sich verletzt?«, fragte sie ihn.
»Wie?«
Sie hob eine Hand und deutete mit dem Finger auf ihre eigene linke Wange. »Haben Sie sich im Gesicht verletzt?«
Vor Schreck weiteten sich seine Augen, und er drehte sich noch ein Stück von ihr fort. Dabei ging seine Hand in Richtung seines Gesichtes. Im letzten Moment bemerkte er seinen Fehler und ließ sie wieder sinken.
»Nein, es ist nichts. Nur ein Kratzer. Bei der Arbeit im Lager. Hab nicht richtig aufgepasst.«
Kurze, abgehackte Sätze, die Nichtigkeit suggerieren sollten.
»Dürfte ich mich in Ihrem Laden umsehen?«, fragte Franziska. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen. Wenn er hier drinnen wirklich etwas zu verbergen hatte, dann war das jetzt ein kritischer Moment für ihn. Er würde sie nicht einfach so herumschnüffeln lassen, und auch der scheinbar harmloseste Täter konnte
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