Blinder Passagier
zu lassen.«
Sie schwieg einen Augenblick, war mit den Gedanken woanders.
Dann sagte sie: »Er ist sonderbar, dieser Loup-Garou. Beißt in die Handflächen und Fußsohlen. Es muss ihm etwas bedeuten.
Nie zuvor ist mir so etwas begegnet. Und jetzt müssen auch Sie sich wie ich gegen ihn behaupten.«
Sie hielt inne, als würde es ihr schwer fallen, weiterzusprechen.
»Bitte, seien Sie vorsichtig, Dr. Scarpetta. Er wird hinter Ihnen her sein, wie er hinter mir her war. Ich bin diejenige, die überlebt hat.«
Ich war zu schockiert, um etwas darauf zu erwidern.
»Mein Mann ist der Chefkoch vom Le Dome. Er ist abends fast nie zu Hause, aber Gott sei Dank lag er krank im Bett, als diese Kreatur vor ein paar Wochen an unsere Tür kam. Es regnete. Er sagte, er wäre in einen Unfall verwickelt und müsste die Polizei rufen.
Natürlich war mein erster Gedanke zu helfen. Ich wollte mich vergewissern, dass er nicht verletzt war. Ich war sehr besorgt.
Das war meine wunde Stelle«, fuhr sie fort. »Ich glaube, Ärzte leiden unter einem Helfersyndrom. Wir kümmern uns um Probleme, gleichgültig welcher Art, und im Nachhinein ist mir klar, dass er darauf gesetzt hat. Er hatte überhaupt nichts Verdächtiges an sich, und er wusste, dass ich ihn ins Haus lassen würde, und das hätte ich auch getan. Aber Paul hörte unsere Stimmen und wollte wissen, wer da war. Der Mann lief davon. Ich habe ihn nicht genau gesehen. Meine Hauslaterne war aus, weil er die Birne rausgeschraubt hatte, wie ich später herausfand.«
»Haben Sie die Polizei informiert?«
»Nur einen Kriminalkommissar, dem ich vertraue.«
»Warum?«
»Ich muss vorsichtig sein.«
»Woher wussten Sie, dass es Loup-Garou war?«
Sie nippte an ihrem Kaffee, der mittlerweile kalt war, und goss uns beiden etwas heißen nach.
»Ich spürte es. Ich erinnere mich, dass ich den Geruch von nassem Tier roch, aber jetzt glaube ich, dass ich mir das nur eingebildet habe. Ich spürte das Böse, die Lust in seinen Augen. Und er ließ sich nicht ansehen. Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, nur das Funkeln in seinen Augen, als das Licht aus dem Haus durch die offene Tür fiel.«
»Geruch von nassem Tier?« sagte ich.
»Anders als menschlicher Körpergeruch. Ein schmutziger Geruch, wie ein Hund, der gewaschen werden sollte. Daran erinnere ich mich. Aber es ging alles so schnell, und ich bin nicht sicher. Am nächsten Tag erhielt ich eine Nachricht von ihm. Hier.
Ich zeige Sie Ihnen.«
Sie stand auf und sperrte eine Schublade in einem Aktenschrank aus Metall auf. Es steckten so viele Akten darin, dass es ihr schwer fiel, eine herauszuziehen. Sie war unbeschriftet, und darin befand sich ein Stück zerrissenes, blutbeflecktes braunes Papier in einer transparenten Beweismitteltüte aus Plastik.
»Pas la police. fa va, ga va. Pas de problemes, tout va bien. Le Loup-Garou«, las sie vor. »Das heißt: Keine Polizei. Alles in Ordnung, alles okay. Alles bestens. Der Werwolf.«
Ich starrte auf die vertrauten Blockbuchstaben. Sie wirkten mechanisch, fast wie von einem Kind.
»Das Papier sieht aus wie ein Stück von einer zerrissenen Tüte vom Markt«, sagte sie. »Ich kann nicht beweisen, dass es von ihm ist, aber von wem sollte es sonst sein? Ich weiß nicht, wessen Blut es ist, weil ich es wieder einmal nicht testen kann, und nur mein Mann weiß, dass ich es erhalten habe.«
»Warum Sie?«, fragte ich. »Warum sollte er es auf Sie abgesehen haben?«
»Ich kann nur vermuten, dass er mich an den Tatorten gesehen hat. Daher weiß ich, dass er uns beobachtet. Wenn er getötet hat, ist er irgendwo im Dunkeln und beobachtet, was Leute wie wir tun. Er ist sehr intelligent, schlau. Ich zweifle nicht daran, dass er genau weiß, was mit seinen Leichen passiert, wenn sie bei mir landen.«
Ich hielt die Botschaft ins Lampenlicht und suchte nach versteckten Abdrücken, die ins Papier gepresst worden waren.
Ich fand keine.
»Als ich die Nachricht las, wurde das Ausmaß der Bestechlichkeit offensichtlich. Als hätte ich daran noch gezweifelt«, sagte Dr. Stvan. »Loup-Garou wusste, dass es keinen Zweck hätte, die Nachricht der Polizei oder den Labors zu übergeben. Er sagte mir damit, ich sollte mir die Mühe sparen, und das Komische ist, ich hatte das Gefühl, er teilte mir auch mit, dass er es nicht noch einmal versuchen würde.«
»Davon würde ich nicht unbedingt ausgehen«, sagte ich.
»Als ob er eine Freundin brauchte. Das einsame Biest braucht eine Freundin. In seinen Fantasien
Weitere Kostenlose Bücher