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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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warteten.
    Ein Mann und eine Frau, langweilig spatzenfarben gekleidet, saßen auf einer schwarzen Bank vor einer alten Ziegelmauer. Er hielt seinen Hut in der Hand und starrte auf den Boden. Sie blickte zu mir auf, ihr Gesicht von Schmerz verzerrt.
    Ich ging sehr schnell über das Kopfsteinpflaster an der Seine entlang, während schreckliche Bilder auf mich einstürmten. Ich stellte mir sein böses Gesicht vor, das aus der Dunkelheit auftauchte, wenn eine Frau ihm die Tür öffnete. Ich stellte mir vor, wie er wie ein nachtaktives Tier herumwanderte, sein Opfer auswählte und verfolgte, bis er zuschlug und es wieder und wieder schändete. Seine Rache am Leben bestand darin, seine Opfer zu zwingen, ihn anzusehen. Seine Macht bestand in ihrer Todesangst.
    Ich blieb stehen und sah mich um. Autos rasten in einem ununterbrochenen Strom an mir vorbei. Ich fühlte mich benommen, während der Verkehr dröhnte und mir Dreck ins Gesicht spieh.
    Ich hatte keine Ahnung, wie ich hier ein Taxi auftreiben sollte.
    Es gab keinen Stelle, wo ein Wagen hätte anhalten können. Die Nebenstraßen, an denen ich vorbeikam, waren menschenleer.
    Auch hier würde ich kein Taxi finden. Ich spürte, wie ich eine Panikattacke bekam. Ich flüchtete eine Steintreppe hinauf und zurück in den Park, wo ich mich auf eine Bank setzte und Atem schöpfte, während der Geruch des Todes zwischen den Blumen und Bäumen schwebte. Ich schloss die Augen, kehrte das Gesicht der winterlichen Sonne zu und wartete darauf, dass sich mein Herzschlag beruhigte. Kalte Schweißperlen rannen an meiner Haut herunter. Meine Hände und Füße waren taub, der Aktenkoffer aus Aluminium hart zwischen meinen Knien.
    »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Freund gebrauchen.« Jay Talley stand plötzlich vor mir.
    Ich zuckte zusammen und holte laut Luft.
    »Tut mir Leid«, sagte er leise, als er sich neben mich setzte. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Was machen Sie hier?«, fragte ich, während in meinem Kopf Gedanken wie wahnsinnig ineinander prallten, schmutzig und blutig wie Soldaten auf einem Schlachtfeld.
    »Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass wir auf Sie aufpassen werden?«
    Er knöpfte seinen tabakfarbenen Kaschmirmantel auf und nahm eine Schachtel Zigaretten aus der Innentasche. Er zündete zwei Zigaretten für uns an.
    »Sie haben auch gesagt, dass es zu gefährlich wäre, wenn einer von Ihnen hier auftauchen würde«, sagte ich vorwurfsvoll. »Ich gehe also rein, erledige meine schmutzige Arbeit, und Sie sitzen hier in dem verdammten Park vor dem Eingang des Leichschauhauses.«
    Ich blies ärgerlich Rauch aus, stand auf und griff nach meinem Koffer.
    »Was für eine Art Spiel treiben Sie eigentlich mit mir?«, fragte ich ihn.
    Er steckte die Hand in eine andere Tasche und holte ein Handy heraus.
    »Ich denke, Sie brauchen ein Taxi«, sagte er. »Ich spiele kein Spiel. Gehen wir.«
    Er wählte und sagte etwas auf Französisch zu wem auch immer am anderen Ende der Leitung.
    »Und jetzt? Holt uns der Mann von >Solo für O.N.K.E.L.< ab?«, sagte ich bitter.
    »Ich habe nur ein Taxi gerufen. Ich glaube, der Mann von O.N.K.E.L. ist vor ein paar Jahren in den Ruhestand getreten.«
    Wir gingen in eine der ruhigen Nebenstraßen, und ein paar Minuten später hielt ein Taxi an. Wir stiegen ein, und Talley starrte auf die Tasche in meinem Schoß.
    »Ja«, beantwortete ich seine unausgesprochene Frage.
    Im Hotel angekommen, nahm ich ihn mit in mein Zimmer, weil es keinen anderen Ort gab, an dem wir uns ungestört unterhalten konnten. Ich versuchte, Marino zu erreichen, aber er war nicht da.
    »Ich muss zurück nach Virginia«, sagte ich.
    »Das ist kein Problem«, sagte er. »Wann immer Sie wollen.«
    Er hängte das Bitte-nicht-stören-Schild draußen an die Tür und legte die Kette vor.
    »Gleich morgen früh.«
    Wir setzten uns neben das Fenster, ein kleiner Tisch stand zwischen uns.
    »Ich nehme an, dass Madame Stvan Ihnen alles erzählt hat«, sagte er. »Sie war die härteste Nuss, die wir knacken mussten. Die arme Frau ist so paranoid - aus gutem Grund. Wir haben nicht geglaubt, dass sie sich irgendjemandem anvertrauen würde. Ich freue mich, dass mich mein Instinkt nicht getrogen hat.«
    »Ihr Instinkt?«, sagte ich.
    »Ja.« Er sah mich unverwandt an. »Ich wusste, wenn es jemand schaffen würde, dann Sie. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, und sie kann nur großen Respekt für Sie haben. Aber es ist durchaus hilfreich, dass ich von Ihnen auch einiges weiß.« Er hielt

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