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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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festhielt.
    »Der Sinn dieser neuen Tische besteht darin«, keuchte ich, »dass wir genau das nicht mehr tun müssen!«
    Nicht alle Transportunternehmen und Bestattungsinstitute hatten mit uns Schritt gehalten. Sie arbeiteten noch immer mit Tragen und hievten die Leichen auf jede alte Bahre, die sie finden konnten, statt auf einen neuen Autopsietisch, den wir ans Waschbecken rollen konnten. Bislang hatten meine Bemühungen, unsere Rücken zu schonen, keine großen Erfolge gezeitigt.
    »Also, Chuckie-Boy«, sagte Marino. »Wie ich höre, wollen Sie zu uns überlaufen.«
    »Wer behauptet das?« Ruffin war eindeutig erschrocken und fühlte sich in die Enge getrieben.
    Die Leiche plumpste auf rostfreien Stahl.
    »Habe ich draußen aufgeschnappt«, sagte Marino.
    Ruffin schwieg, während er die Bahre mit einem Wasserschlauch abspritzte, mit einem Handtuch trocken rieb und dann sie und eine Abstellfläche mit sauberen Tüchern bedeckte, während ich fotografierte.
    »Ich will Ihnen mal eins sagen«, fuhr Marino fort, »es ist nicht alles Gold, was glänzt.«
    »Chuck«, sagte ich, »wir brauchen noch mehr PolaroidFilme.«
    »Bin schon unterwegs.«
    »Die Wirklichkeit sieht immer ein bisschen anders aus«, fuhr Marino in seinem herablassenden Tonfall fort. »Man fährt die ganze Nacht herum, ohne dass was passiert, und langweilt sich zu Tode. Man wird angespuckt, verflucht, überhaupt nicht geschätzt, fährt die letzten Schrottmühlen, während kleine Wichser Politik machen und anderen in den Arsch kriechen und super Jobs bekommen und mit den höheren Rängen Golf spielen.«
    Luft wurde umgewälzt, Wasser floss. Ich skizzierte die Metallklammern und den zusätzlichen Höcker und wünschte, das Gefühl der Schwere in mir würde sich auflösen. Trotz allem, was ich über die Funktionsweise des Körpers wusste, verstand ich nicht - nicht wirklich -, wie Trauer im Hirn einsetzte und sich dann im ganzen Körper ausbreitete wie eine systemische Infektion, erodierte und pulsierte, entzündete und betäubte und letztlich Karrieren, Familien und in manchen traurigen Fällen das Leben eines Menschen zerstörte.
    »Hübscher Stoff«, sagte Ruffin. »Ar-man-i. Hab ich noch nie aus der Nähe gesehen.«
    »Die Schuhe und der Gürtel aus Krokodilleder haben allein wahrscheinlich tausend Dollar gekostet«, sagte ich.
    »Echt wahr?«, sagte Marino. »Die haben ihn wahrscheinlich umgebracht. Seine Frau kauft sie ihm zum Geburtstag, er findet heraus, was das Zeug gekostet hat, und hat einen Herzinfarkt.
    Macht es dir was aus, wenn ich hier rauche, Doc?«
    »Ja, tut es. Wie war die Temperatur in Antwerpen, als das Schiff in See stach? Hast du Shaw danach gefragt?«
    »Minimum neun Grad, Maximum zwanzig«, sagte Marino.
    »Das gleiche merkwürdige warme Wetter wie überall auf der Welt. Wir könnten Weihnachten genauso gut mit Lucy in Miami feiern, wenn das Wetter so bleibt. Entweder das oder eine Palme in meinem Wohnzimmer aufstellen.«
    Als er Lucy Namen erwähnte, war mir, als würde eine harte kalte Hand mein Herz zusammenpressen. Sie war immer schwierig und kompliziert gewesen. Nur sehr wenige Menschen kannten sie, auch wenn viele glaubten, sie zu kennen. Hinter ihrer Intelligenz, ihrem Leistungsbewusstsein und den Risiken, die sie ständig einging, kauerte ein wütendes verletztes Kind, das es mit Drachen aufnahm, die der Rest von uns fürchtete. Sie hatte entsetzliche Angst vor dem Verlassenwerden, ob begründet oder nicht. Lucy stieß immer als Erste zurück.
    »Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die meisten Menschen nicht besonders gut angezogen sind, wenn sie sterben?«, sagte Chuck. »Ich frage mich warum.«
    »Ich zieh mir saubere Handschuhe an und stelle mich in die Ecke«, sagte Marino. »Ich brauche jetzt eine Zigarette.«
    »Außer letztes Frühjahr, als diese Studenten auf dem Nachhauseweg von der Abschlussfeier umkamen«, fuhr Chuck fort. »Der Typ hatte einen blauen Smoking an und eine Blume im Revers.«
    Der Bund der Jeans warf Falten unter dem Gürtel.
    »Die Hose ist in der Taille zu weit«, sagte ich und skizzierte es auf einem Blatt Papier. »Vielleicht um eine oder zwei Größen.
    Möglicherweise war er früher dicker.«
    »Schwer zu sagen, was für eine verdammte Größe er hatte«, sagte Marino. »Im Moment hat er einen fetteren Bauch als ich.«
    »Er ist aufgebläht von Gasen«, sagte ich. »Schade, dass Sie das nicht auch als Ausrede benutzen können.«
    Ruffin wurde mutiger.
    »Er ist einen Meter dreiundsiebzig

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