Blinder Passagier
Szenario strapazierte mein Nervenkostüm. Meinem Wesen, meiner Ausbildung und meiner professionellen Praxis entsprach es, immer die Wahrheit zu sagen und mich keinesfalls wie ein verschlagener zwielichtiger Anwalt zu verhalten, der ich hätte werden können, hätte ich mich für Manipulation, ausweichendes Verhalten und die grauen Bereiche des Gesetzes geöffnet.
Die Frau notierte meinen Namen, als mein Pager vibrierte wie ein großes Insekt. Ich las die 10-4 auf dem Display und eilte an der Bar vorbei zur Tür. Mir blieb keine andere Wahl, als die Tür ein Stück zu öffnen, da die Fenster undurchsichtig waren. Ich sah den dunklen Crown Victoria.
Marino trat nicht sofort in Aktion. Meine Anspannung wuchs, als Bray parkte und die Scheinwerfer ausschaltete. Ich war sicher, dass sie nicht lange auf Chuck warten würde, und konnte mir ihren Arger bereits vorstellen. Ein kleiner Niemand wie er durfte es nicht wagen, Deputy Chief Diane Bray warten zu lassen.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte mich der Barkeeper, der ein Glas abtrocknete.
Ich blickte weiter durch den Türspalt und fragte mich, was Marino als Nächstes tun würde.
»Ich erwarte jemanden, der nicht genau weiß, wo wir hier sind«, sagte ich.
»Sagen Sie den Leuten, dass wir neben Michelle's Face Works sind«, erklärte er, als Marino ausstieg.
Ich stieß auf dem Parkplatz zu ihm, und wir gingen zielstrebig auf Brays Wagen zu. Sie bemerkte uns nicht, denn sie sprach in ihr Handy und notierte etwas. Als Marino an ihr Fenster klopfte, wandte sie sich uns erschrocken zu. Dann verhärteten sich ihre Züge. Sie sagte noch etwas und beendete das Telefongespräch.
Das Fenster wurde geöffnet.
»Deputy Chief Bray? Dachte ich doch, dass Sie es sind«, sagte Marino, als wären sie alte Freunde.
Er beugte sich vor und spähte in ihren Wagen. Bray war eindeutig entgeistert, und man sah ihr nahezu an, wie sich ihre berechnenden Gedanken in ihrem Kopf neu gruppierten, während sie so tat, als wäre es nichts Ungewöhnliches, dass wir uns hier über den Weg liefen.
»Guten Abend«, sagte ich höflich. »Was für ein erfreulicher Zufall.«
»Kay, was für eine Überraschung«, sagte sie tonlos. »Wie geht es Ihnen? Sie haben also Richmonds kleines Geheimnis entdeckt.«
»Ich kenne die meisten kleinen Geheimnisse von Rich-mond«, sagte ich in ironischem Tonfall. »Es gibt viele davon, man muss sich nur umsehen.«
»Ich esse kaum rotes Fleisch.« Bray schaltete auf Smalltalk um.
»Aber der Fisch ist ausgezeichnet.«
»Das ist, wie in einen Puff gehen und eine Patience legen«, sagte Marino.
Bray ignorierte ihn und versuchte erfolglos, mich in Grund und Boden zu starren. Aus jahrelanger Erfahrung mit unredlichen Angestellten, doppelzüngigen Verteidigern und rücksichtslosen Politikern wusste ich, dass ich Leuten nur auf die Stelle zwischen ihren Augen starrten musste. Sie wussten dann nicht, dass ich ihnen nicht wirklich in die Augen sah, und ich konnte sie beliebig lang einschüchtern.
»Ich werde hier zu Abend essen«, sagte sie, als wäre sie zerstreut und hätte es eilig.
»Wir warten, bis Ihr Gast auftaucht«, sagte Marino. »Wir wollen nicht, dass Sie allein hier im Dunkeln sitzen oder drinnen belästigt werden. Wirklich, Deputy Chief Bray, Sie sollten nicht ohne Begleitschutz herumfahren, weil doch jeder Sie mittlerweile kennt. Sie sind doch so was wie eine Berühmtheit geworden.«
»Ich bin nicht verabredet«, sagte sie, und die Gereiztheit war ihrer Stimme anzuhören.
»Noch nie hat es eine Frau an so hoher Stelle bei der Polizei gegeben, besonders keine so attraktive und von den Medien vergötterte.« Marino konnte einfach den Mund nicht halten.
Sie nahm ihre Tasche und ihre Post vom Beifahrersitz. Ihr kalter Zorn war mit Händen greifbar.
»Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.« Das war als Befehl gemeint.
»Es wird nicht einfach werden, heute Abend einen Tisch zu bekommen«, sagte ich, als sie die Tür öffnete. »Außer Sie haben reserviert«, fügte ich hinzu und ließ durchklingen, dass ich sehr wohl wusste, dass dem nicht so war.
Brays Haltung und Selbstsicherheit gerieten für einen kurzen Augenblick ins Wanken, der ausreichte, um dem Bösen in ihr die Maske vom Gesicht zu reißen. Ihre Augen funkelten mich an, aber das Funkeln erlosch, als sie ausstieg und Marino ihr den Weg verstellte. Um an ihm vorbeizukommen, hätte sie um ihn herumgehen müssen, und dabei hätte sie ihn womöglich gestreift, und ihr enormes Ego würde
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