Blinder Rausch - Thriller
belagert war. Auf der Tanzfläche zuckten einige Leiber zu der Musik, die aus Lautsprechern an der Decke dröhnte. »Ihr lauft Amok mit unseren Seelen«, tobte Harry Higgs. Leonie spürte, wie sich ihr Hals zuzog. Bloß jetzt nicht heulen, dann haben die hier alle was zum Lachen oder zu fotografieren, stellte sie mit bitterer Miene fest, als sie ein Mädchen beobachtete, das immer dann auf den Auslöser ihres Handys drückte, wenn einer der Tanzenden eine besonders irre Grimasse zog. Sie versuchte sich unauffällig an den Rand der Tanzfläche zu stellen, wiegte sich im Rhythmus der Musik und tat so, als schaue sie den Tanzenden zu. In Wirklichkeit suchte sie jeden Winkel des Raumes nach Frederik ab. Er war nicht zu sehen.
Wenn es wenigstens ein bekanntes Gesicht gäbe. Wenn Hanni hier wäre. Wenn … Plötzlich hielt ihr jemand, der hinter ihr stand, von der Seite ein Glas mit einer orangefarbenen Flüssigkeit vors Gesicht. Sie griff nach dem Glas. Hoffnung keimte auf. Lächelnd drehte sie sich um. Oliver! In der anderen Hand hatte er ein Glas für sich und prostete ihr zu, indem er es anhob, ansetzte und mit einem Zug halb leer trank. »Danke«, sagte Leonie und nippte. Das Zeug war eine Art Saft, allerdings schmeckte sie deutlich den beigemischten Alkohol. Hoffentlich genug, dachte Leonie und trank es gierig aus. Oliver hatte etwas gesagt, was sie in dem Lärm nicht verstehen konnte, er beugte sich näher an ihr Ohr. »Hast du Denise gesehen?«, brüllte er. Leonie schüttelte den Kopf und schrie ihm zu: »Hast du Frederik gesehen?« »Ja, der steht doch da hinten«, war die Antwort.
Leonie fuhr blitzschnell herum und starrte zum Eingang des Raumes. Tatsächlich! Dort lehnte er ganz lässig und prostete ihr mit seinem Glas zu. Sofort bahnte sie sich einen Weg zu ihm.
»Na, hat Nik dich alleine auf die Party gelassen?«, rief er ihr entgegen. »Ich bin nicht mit ihm zusammen«, brüllte sie, »das hat er doch hoffentlich endlich klargestellt!« Frederik grinste und lächelte sie an. Dann nahm er ihr das Glas aus der Hand, reichte beide Gläser jemandem weiter, der sie an der Theke abgab und zog Leonie auf die Tanzfläche.
Glücksgefühle durchströmten sie. Ein Traum. Ein Traum wurde wahr. Möglich, dass die Wirkung des Alkohols die Achterbahn in ihrem Innern zusätzlich antrieb. Sie bewegte sich geschmeidig im Takt der Musik und drehte sich vor ihm um ihre Achse. Lächelnd warf sie den Kopf in den Nacken und schaute ihn aus halb geschlossenen Augen an. Seine Tanzbewegungen waren eher spärlich. Doch seine Blicke glitten von oben bis unten über ihren Körper. Ich gefalle ihm, jubelte es in ihr. Heute passiert’s. Er wird … Die Musik wurde langsamer. Wie auf ein geheimes Kommando fielen sich die Paare auf der Tanzfläche in die Arme. Frederik zog sie sehr fest an sich.
Etwas in ihr drängte sie, ihm auszuweichen. Doch sie dachte daran, dass sie ihn auf keinen Fall enttäuschen wollte und erwiderte seine Umarmung. »Findest du es gut, dass wir so eng tanzen?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie nickte und schmiegte sich an seine Wange. Sie spürte, wie er mit beiden Händen ihren Po umfasste und sie fest gegen seinen Unterleib drückte. Etwas in ihr gefror zu Eis. »Gefällt’s dir?«, dröhnte seine Stimme in ihrem Ohr. »Ja«, quiekte sie und verstand nicht, warum ein namenloses Gefühl ihr den Hals zuschnürte.
Sie spürte, wie er sein Gesicht in ihr Haar drückte und sein Mund immer näher zu ihrem wanderte. Gleich küssen wir uns, dachte sie. Gleich. Wie oft hatte sie sich diesen Kuss mit Frederik ausgemalt. Der Traum hatte ihr Herz rasen lassen und eine ganze Schmetterlingsfarm in ihrem Bauch aufgescheucht. Jetzt spürte sie, wie sich seine Lippen auf die ihren pressten. Seine Zunge drückte sich warm, feucht und schleimig zwischen ihre Zähne. Sie schmeckte Pizzagewürz und Bierdunst. In ihr waren alle Zeiger auf Flucht gestellt. Dennoch tanzte und küsste sie weiter mit ihm. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Was war bloß mit ihr los?
Nach dem Lied zog Frederik sie hinaus in den Gang. Sie drängten sich zwischen den Leuten hindurch bis zu der Tür, die sie schon kannte. Frederik zog sein Handy hervor und wählte kurz eine Nummer. Dann sagte er etwas, das Leonie in dem Lärm nicht verstehen konnte. Das war auch nicht wichtig. Leonie wollte eher verstehen, was plötzlich in ihr vorging. Sie versuchte, sich selbst aufzumuntern: Leo, du bist gerade das glücklichste Mädchen der Welt. Eben gerade ist
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