Blinder Rausch - Thriller
Ausnahmezustand, in dem Oliver sich jetzt immer noch zeigt, wohl schon, oder? Sie würde in Zukunft im Umgang mit Oliver sehr vorsichtig sein müssen. Er ist eine Zeitbombe. Ist das alles so gewesen? Und wenn Denise zu den Gestalten in der Dunkelheit des Nebenraums gehört hat, die Leonie kaum erkennen konnte?
Leonie versucht, sich die Szene noch einmal vorzustellen, soweit ihre Erinnerung das zulässt: Leonie ist aus der Helligkeit des Ganges mit Frederik in den dunklen Raum gekommen, daher hat sie niemanden erkennen können, aber die, die dort im Dunklen saßen, die haben sehr wohl sehen können, wer da gerade zur Tür hereinkam. Es gab in der Vergangenheit genug Anzeichen, dass Denise auch scharf auf Frederik war. Aber auf wen war die eigentlich nicht scharf? Immer auf die, nach denen andere sich sehnten, damit sie die Typen anmachen und abschleppen konnte. Das war Denises Masche. Anderen etwas wegnehmen, was diese von ganzem Herzen begehrten. Damit macht man sich keine Freunde. Wer hatte Denise auf dem Gewissen? Jemand, den sie mit ihren üblen Mätzchen zutiefst gekränkt hatte. Oliver!, schießt es Leonie wieder durch den Kopf. Oliver ist eine große Gefahr. Er versucht sich reinzuwaschen, indem er andere bei der Polizei anschwärzt. Bestimmt hat er den Polizisten auch von Leonie und ihrer Abneigung gegenüber Denise erzählt.
Was hat Leonie in der Hand, um sich und Niklas zu entlasten? Sie muss unbedingt herausfinden, was mit ihr in den verlorenen fünf Stunden geschehen ist. Wer kann etwas wissen? Frederik. Sie muss mit Frederik sprechen. Automatisch hat sie sich wieder auf den Rückweg zur Schule begeben. Ein wenig erstaunt bemerkt sie, dass sie schon wieder vor dem Schultor steht. Auf dem Hof befinden sich immer noch einige Schüler aus ihrer Klasse. Und Sercan, Niklas’ Freund und Basketballkamerad aus der 10c, steht auch dort, sie erkennt ihn gleich, weil sein dunkler Haarschopf die anderen weit überragt. Gut, Sercan wird etwas dazu sagen können, ob Olivers Geschichte, Niklas sei mit Denise davongegangen, stimmt. Sie steuert auf die Gruppe zu und sieht, dass Sercan ein Mädchen an der Hand hält, das neben ihm steht. Hanna! Von wegen, ich muss pünktlich zu Hause sein! Die wollte nur dorthin, um sich für den Rest den Nachmittags ordentlich abzumelden. Ein kurzes Schmunzeln huscht über Leonies Gesicht. Oh, was hätte Leonie jetzt alles zu fragen und zu bereden gehabt mit ihrer besten Freundin! Damals. Damals vor zwei Tagen, als alle Probleme und Freuden noch so schön normal waren. Was gäbe sie darum, wenn sie die Zeit einfach zurückdrehen könnte! Aber hätte sie dann ohne das Wissen von heute irgendetwas anders angestellt? Vermutlich nicht. Und jetzt ist alles anders und das, was einmal wichtig war, ist plötzlich belanglos geworden.
Leonie tritt zu der Gruppe. »Hey«, sagt sie. »Hey«, kommt es in vielstimmigem Gemurmel zurück. Kurz kreuzt sie die Blicke mit Hanna, und ein kleines Lächeln erhellt ihre Gesichter. »Gibt es etwas Neues?« »Sie bringen es heute Abend um halb acht in der Regionalschau, hat die Tante vom Fernsehen vorhin zu uns gesagt. Uns haben sie auch gefilmt.«
»Ach ja? Gratuliere!«, kommt es bissig von Leonie. »Die Zehner sind gerade dran«, erklärt Andy. »Sie befragen auch die komplette 10c einzeln. Das kann dauern!« Leonie fragt erstaunt: »Wieso die? Die hatten doch mit Denise kaum etwas zu tun?« »Sie wollte aber auf Frederiks Party am Freitagabend, jedenfalls hat sie das Merve erzählt«, erklärt Sercan. Leonies Blicke wandern zu Merve. Neben ihrem Bruder sieht sie noch zierlicher und hilfsbedürftiger aus als sonst. Ihr Gesicht wirkt sehr müde und traurig. Der Wust von dunklen Locken scheint es fast zu erdrücken. Merve nickt bestätigend. »Ihrer Mutter hat sie erzählt, sie wäre über Nacht bei mir, aber das war gelogen.« »Und? War sie auf der Party?« Merve zuckt mit den Schultern. »Sie hat mir keine SMS mehr geschrieben.«
Lars schaltet sich ein: »Das wollen sie ja jetzt von den Zehnern wissen, also ob einer von denen sie irgendwo gesehen hat.«
Leonie nickt. »Also stimmt die Story nicht, die Oli verbreitet hat, nämlich dass sie mit Nik zusammen war!«
»Doch, das stimmt«, hört Leonie Sercan sagen, und sie erstarrt. Wie in Trance gleiten ihre Blicke über Hanna und Sercan. Hand in Hand. Wie Hänsel und Gretel, schießt es ihr völlig unpassend durch den Kopf. Es dauert einen Moment, bis sie wieder angekommen ist und zur Sache sprechen kann:
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