Blinder Rausch - Thriller
Mettner entlasten sollen. Dafür lieferst du uns Erklärungen, aber keine Beweise. Sogar seine Lüge, er habe Denise bereits am Marktpatz verlassen, hast du raffiniert umschifft, weil du vermutlich von der tratschenden Nachbarin längst weißt, dass er mit dem Mädchen in eurem Treppenhaus von ihr gesehen wurde und seine Marktplatzgeschichte nicht halten kann. Schon lieferst du uns frei Haus eine Erklärung, die ihn auch in dem Punkt entlastet. Geh nach Hause und wir vergessen das Ganze hier!« Er zieht das Blatt heran und zerreißt es. Leonie sieht ihm zu, wie er die Schnipsel in den überfüllten Papierkorb zu seinen Füßen stopft.
»Doch, Sie werden Beweise finden«, beharrt sie.
Er blickt sie erstaunt an. »Sie werden auch meine DNS -Spuren in Mettners Bad finden.«
»Nichts Außergewöhnliches, wenn ihr Freunde seid!«, entgegnet er.
»Meine DNS ist bestimmt auch an Denises T-Shirt zu finden. Die silbernen Schuhe sind meine. Ich habe noch den Kassenzettel, erst letzte Woche gekauft, vielleicht erinnert sich die Verkäuferin.«
»Freundinnen tauschen Klamotten. Das kenne ich von meiner Tochter. Aus irgendeinem Grund hast du mit ihr vorher getauscht.«
»Marianne, Niklas Mutter, hat mich am Morgen in Niklas Zimmer gesehen.«
»Das ist aber nicht die Tatzeit.«
»Aber es beweist, dass meine Geschichte stimmen kann, dass ich dort im Bad war …«
Lindemann verzieht säuerlich das Gesicht. »Es mag ja sein, dass deine Geschichte teilweise stimmt. Aber trotzdem weiß ich, dass du mich anlügst!«
»Das können Sie doch nicht einfach so sagen!«, stammelt Leonie. Ihr Gesicht brennt. Lindemann schlägt mit der flachen Hand auf die Schreibunterlage, dass der Bleistift nur so hüpft und Leonie zusammenfährt. Dann brüllt er los: »Oh doch, das kann ich, und wie ich das kann! Und weißt du warum? Weil ich seit 30 Jahren Polizist bin. Weißt du, was das für ein Beruf ist? Das ist ein Beruf, in dem man jeden Tag angelogen wird. Jeden Tag! Und in meinem Zwischenhirn, da gibt es so ein kleines, rotes Lämpchen. Das blinkt dann immer. Und jetzt blinkt es auch. Du glaubst, du kannst ein altes Frontschwein wie mich noch an der Nase herumführen. Aber ich sage, du lügst. So einfach ist das.« Leonie bleibt einen Moment sitzen und schaut Lindemann zu, wie er wieder Kringel malt.
»Hattest du an dir selbst auch Verletzungen bemerkt?«, fragt plötzlich eine milde Frauenstimme. Leonie schaut zu der Polizistin, die sie an dem Bildschirm vorbei mit deutlicher Anteilnahme ansieht. Leonie schüttelt schnell den Kopf. Wieder schießen ihr Tränen in die Augen.
»Wo?«, fragt die Polizistin. Leonie kann es nicht aussprechen. Sie deutet in Richtung ihrer Oberschenkel und hebt die gebeugten Arme in Richtung der Polizistin, sodass sie die verkrusteten Schürfwunden sehen kann. Die beiden Polizisten schauen einander an. Lindemann wirft den Bleistift weg und sagt:
»Na, dann also jetzt das volle Programm!«
Spät am Abend sinkt Leonie bleischwer ins Bett. Die letzte Tat dieses Tages war ein langes Gespräch mit ihren Eltern gewesen. Sie schämt sich zutiefst dafür, dass die beiden so verständnisvoll reagiert haben. Sie stand kurz davor, ihnen zu beichten, dass sie nicht im Stadtpark, sondern auf der Party gewesen war. Doch dann hatte sie Frederiks Blick vor Augen. Er verlässt sich auf sie. Sie kann ihn nicht enttäuschen, will nicht schuld sein, wenn er Ärger bekommt. Inzwischen denkt sie, dass ihre ausgedachte Geschichte vermutlich näher an der Wahrheit ist, als sie ahnt. Frederik hat recht: Was ihr geschehen ist, hat nichts mit der Party zu tun. Sie sieht sich von der Liege aufstehen und die Straße entlang wanken. Ein Auto mit Kerlen, die etwas losmachen wollen, hält neben ihr mit quietschenden Bremsen. Also kommt es doch auf dasselbe raus, wenn ich erzähle, dass ich die erst im Stadtpark getroffen habe! Sie leistet nicht viel Widerstand, steigt ein, fährt mit. Im Auto ist Denise. Sie kennt die Typen und ist mit ihnen unterwegs. Als sie Leonie am Straßenrand sieht, ruft sie, hey, nehmt die auch noch mit, die kenne ich! Als Denise merkt, dass ein Typ, auf den sie es eigentlich abgesehen hat, auf Leonie abfährt, schreibt sie ihr die SMS Ih8u. Irgendwann landen sie im Stadtpark. Wer immer diese Typen waren, und was immer sie ihr angetan haben, sie will das vergessen und sie nie wiedersehen.
Das volle Programm, von dem Lindemann gesprochen hatte, nahm den ganzen Tag in Anspruch. Jeder neue Programmpunkt erschien
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