Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
und du eine Frau.«
Berry lächelte. »Du weißt genau, was ich meine. Wir haben unterschiedliche Ziele.«
»Aber wollt ihr denn einander?« Wieder warf Berry ihr einen scharfen Blick zu. Caroline lachte. »Du brauchst nicht darauf zu antworten. Spar dir die Mühe. Du hast es gerade getan. Außerdem spürt man es ganz deutlich, wann immer ihr im selben Raum seid.«
Sie lächelte ihre Tochter liebevoll an. »Mag sein, dass ihr unterschiedliche Ziele habt und grundverschieden seid, aber all das ist völlig unwichtig, solange man sich zueinander hingezogen fühlt. Er kämpft genauso dagegen an wie du, aber es ist nicht zu übersehen, dass er dich mag.«
Berry wandte sich ab und starrte an die Zimmerdecke. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und sickerte in ihr Haar. »Aber nicht mehr lange.«
»Was meinst du damit?«
»Nicht jetzt, Mutter, okay?«
Caroline zögerte kurz. »Okay«, sagte sie dann.
Sie hatte Berry eingeladen, sich ihr anzuvertrauen, aber wenn sie noch nicht bereit dazu war, würde sie sie nicht bedrängen. Sie legte ihren Koffer aufs Bett, öffnete den Reißverschluss und nahm das Nachthemd heraus, das sie hastig hineingestopft hatte, bevor sie aufgebrochen waren. Es kam ihr vor, als wäre seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen, obwohl es gerade einmal ein paar Stunden waren.
In der Hektik vor ihrem überstürzten Aufbruch hatte Berry den Inhalt ihrer Aktentasche überprüft, um sicher zu sein, dass sie alles hatte, was sie für die Präsentation brauchte. Und nun würde sie sie nicht halten.
Dodge hatte auf sie und Berry gewartet und eine Zigarette nach der anderen geraucht, ohne mitzubekommen, dass Caroline ihn durchs Schlafzimmerfenster beobachtete. Sie hatte sich gefragt, wie es möglich war, dass sein Gesicht trotz des Zynismus und der unübersehbaren Spuren jahrelangen gesundheitlichen Raubbaus an sich selbst bis heute das Einzige war, bei dessen Anblick ihr Herzschlag stockte. Dreißig Jahre – und doch hatte seine Anziehungskraft auf sie nichts eingebüßt.
Sie konnte Berry so einiges über Anziehungskraft erzählen, schließlich war sie sich ihrer ungeheuren Intensität mehr als deutlich bewusst. Auch wenn es noch so unlogisch erscheinen mochte oder ganz und gar falsch war – passierte es einem, hatte man keine Chance, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
»Ich dachte immer, Roger Campton sei es.«
Caroline war so in ihre Tagträume versunken, dass sie im ersten Moment nicht mitbekam, was Berry gesagt hatte. Doch dann erstarrte sie für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie sich langsam umdrehte, das Nachthemd wie einen Schutzschild gegen ihre Brust gepresst.
»Ich dachte immer, Roger Campton sei mein leiblicher Vater.«
Caroline war so verdattert, dass sie kein Wort herausbekam.
»Ich war noch in der Mittelstufe«, fuhr Berry fort. »In der achten Klasse, um genau zu sein. Roger Campton kam bei einem Flugzeugabsturz in Mexiko ums Leben. Eine Klassenkameradin meinte, ihre Mutter hätte erzählt, dass du mit ihm verlobt gewesen wärst, bevor du Daddy geheiratet hast. Und sie wollte wissen, ob du traurig über seinen Tod wärst. Ich hatte noch nie von Roger Campton gehört. Weder du noch Daddy habt den Namen je erwähnt. Ich habe dem Mädchen gesagt, sie irre sich. Aber sie hat steif und fest behauptet, ihre Mutter sei keine Lügnerin. Weshalb sollte sie so etwas auch erfinden? Also habe ich am nächsten Tag Daddys Zeitung genommen und alles über das Flugzeugunglück nachgelesen. Es stand ein langer Artikel über Roger Campton drin. Er sei in Houston aufgewachsen und nach seinem Wirtschaftsabschluss an der SMU in die Firma seines Vaters eingestiegen. Seine Familie hätte massenhaft Geld und großen Einfluss. Houstoner Society. Es war auch ein Foto dabei, auf dem er sehr attraktiv aussah. Da er zu dem Zeitpunkt nicht verheiratet war, habe ich mir eine romantische Geschichte zusammengesponnen, nach dem Motto: Es hat ihm das Herz gebrochen, als er erfahren hat, dass du Daddy anstelle von ihm heiratest, und deshalb ist er allein geblieben. Aber dann dachte ich, eine vernünftige Frau wie du hatte bestimmt einen guten Grund, weshalb du dich für Daddy entschieden hast.« Sie hielt inne.
»Ich war zufrieden damit, wie es gekommen war. Ich habe Daddy von ganzem Herzen geliebt und konnte nicht um einen Mann trauern, den ich nie kennengelernt hatte. Trotzdem war ich froh darüber, dass ich das Geheimnis um meinen leiblichen Vater gelüftet hatte.« Sie blickte Caroline
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