Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
nicht«, gestand sie.
»Ich war drauf und dran.«
Sie schüttelte seine Hand einmal kräftig, ehe sie sie abrupt losließ und sich wieder setzte. Er zog den Stuhl gegenüber von ihr heran und nahm Platz. Einen Moment lang musterten sie einander wortlos.
Ihr Haar war heller, als er es in Erinnerung hatte. Vielleicht ließ sie sich ja blonde Strähnen färben, um das Grau zu überdecken. Egal. Ihm gefiel es jedenfalls. Es hatte noch immer diese satte zimtbraune Farbe, die er an keinem anderen Menschen außer ihr je gesehen hatte.
Und sherryfarbene Augen. Einmal hatte er sich zu einem Anfall poetischer Schwärmerei – zumindest für seine Begriffe – über ihre Haar- und Augenfarbe hinreißen lassen, doch sie hatte ihn nur ausgelacht. Zimt und Sherry? Das hast du wohl in einem Kochbuch gelesen. Und er hatte erwidert: Kann sein, denn du siehst definitiv zum Anbeißen aus.
Er ging jede Wette ein, dass er ihre Taille noch immer mühelos mit zwei Händen umfassen könnte. Sie wirkte leicht wie eine Feder. Bei genauerer Betrachtung bemerkte er ein paar feine Linien um ihre Augen und registrierte, dass ihre Haut am Kiefer ein klein wenig an Straffheit verloren hatte, doch ihr Teint war noch immer makellos und herrlich weich wie früher. Allein sie anzusehen, schmerzte ihn.
Er wusste, dass diese eingehende Musterung für sie ebenso schmerzlich war wie für ihn: für ihn, weil er Mühe hatte, ihren Anblick schnell genug in sich aufzusaugen; für sie, weil sie ihm die zerstörerische Wirkung des Lebens ablesen konnte, das er seit ihrer letzten Begegnung geführt hatte.
Sie räusperte sich. »Wie war die Fahrt?«
»Gut.«
»Viel Verkehr?«
»Es ging.«
»Hast du gleich hergefunden?«
»Ja, ja.« Er versuchte zu lächeln, doch seine Lippen wollten ihm nicht gehorchen.
»Herzlich willkommen im Mabel’s. Was darf ich Ihnen bringen?«
Dodge hatte gar nicht mitbekommen, dass die Kellnerin an ihren Tisch getreten war. Hilfesuchend sah er Caroline an. »Ich nehme einen Darjeeling, bitte«, sagte sie.
Er hatte keine Ahnung, was zum Teufel das sein sollte. Schließlich zwang er seine Lippen, sich in Bewegung zu setzen, und fragte, ob sie eine gewöhnliche Cola hätten. Die Kellnerin bejahte.
»Möchten Sie vielleicht etwas essen? Unsere Aprikosenscones sind die Kalorien definitiv wert.«
»Für mich nicht«, sagte Caroline.
»Für mich auch nichts, danke.«
Die Kellnerin verschwand. Dodge hatte noch nicht einmal mitbekommen, wie sie aussah – ob sie jung oder alt war, groß oder klein, schlank oder dick, ob sie enttäuscht war, weil ihre Gäste kein Interesse an den wunderbaren Aprikosenscones gezeigt hatten, oder ob es ihr schnurzegal war und sie sich ohnehin nichts anderes wünschte, als dass ihre Schicht möglichst bald zu Ende war und sie hier rauskam. Er befand sich in einer Art Vakuum.
Offenbar entging Caroline sein Unbehagen nicht. »Ich habe mich für dieses Café entschieden, weil ich sonst nie hierherkomme. Ich kenne ziemlich viele Leute in der Stadt und wollte nicht, dass wir bei unserem ersten Wiedersehen ständig gestört werden. Die Menschen hier sind sehr nett und kommunikativ.«
Ihm lag auf der Zunge, sie zu fragen, was gegen ein Treffen bei ihr zu Hause sprach, doch er kannte die Antwort bereits: Sie bevorzugte einen Ort in der Öffentlichkeit, an dem das Risiko, dass es zu einer Szene kam, nicht so groß war.
»Es ist wunderbar. Nur fürchterlich …« Er sah sich um. »… rüschig.«
Sie lächelte. Augenblicklich entspannte er sich ein wenig.
»Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, wie du in Atlanta so lebst.«
»Was willst du denn wissen?«
»Wieso wohnst du ausgerechnet dort?«
»Weil mir genau da das Benzin ausging. Ich fand die Stadt genauso gut wie jede andere.«
»Du bist zur Polizei gegangen?«
»Ja. Ich habe für den Sheriff von Fulton County gearbeitet. Die hatten gerade eine Stelle frei. Ich habe dort als Ermittler angefangen. Anständiger Job. Anständige Bezahlung. Ich bin fünfundzwanzig Jahre dabeigeblieben. Aber die Stadt wurde immer größer, vor allem die Selbstgefälligkeit und das Ego der Leute. Mit der Zeit wurde es ziemlich bürokratisch, und ich war es leid, mich an all die Vorschriften und Regeln halten zu müssen. Irgendwann habe ich einen Fall gelöst und musste vor Gericht aussagen. Dort habe ich Derek Mitchell kennengelernt. Er war Strafverteidiger und hat mich ins Kreuzverhör genommen. Wir standen zwar nicht auf
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