Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
hat er geschrien.«
Sie erschauderte. »Ich kann gar nicht wiederholen, was er gesagt hat. Du willst all das gewiss auch gar nicht hören. Aber am Ende hat er mir gedroht, dass es mir noch leidtun würde, dass ich ihn zurückgewiesen hätte. Mit wesentlich drastischeren Worten, aber das war die Quintessenz davon. Ich bin ins Haus gelaufen und habe die Tür verriegelt. Ich hatte schon mein Handy in der Hand und wollte den Notruf wählen – so große Angst hatte ich vor ihm –, aber dann ist er auch schon weggefahren. Ich musste mich übergeben. Danach habe ich mir das Gesicht gewaschen und in den Spiegel geschaut.« Sie hielt inne. »In diesem Augenblick habe ich gesehen, was aus mir geworden war. Ich habe mich selbst kaum wiedererkannt, Mutter. Ich war genauso ein Monster wie Oren. Ich war grausam gewesen, hatte schreckliche Dinge gesagt. Ich war gemein zu dir gewesen, dem Menschen, den ich mehr liebe und respektiere als irgendjemanden sonst auf der Welt. Und wieso? Aus Wut, weil mir jemand im Büro einen kleinen Klaps auf die Finger gegeben hatte.«
Sie wandte sich Caroline zu. »Ich wollte um jeden Preis Erfolg haben. Mein Ehrgeiz hatte mich von innen heraus zerfressen. Ich hatte völlig aus den Augen verloren, was im Leben eigentlich wichtig ist, und meine Beziehung zu Kollegen, zu Freunden und zu dir aufs Spiel gesetzt.«
Sie wischte sich die Tränen ab und fuhr fort. »Als Oren an diesem Tag vor mir stand, hatte ich Angst um mein Leben. Aber genauso habe ich mich vor dem Menschen gefürchtet, zu dem ich geworden war. Ich bin die ganze Nacht wach geblieben und habe im ganzen Haus das Licht brennen lassen. Weil ich Angst hatte, dass er zurückkommen könnte, aber auch davor, dass ich es mir noch einmal anders überlegen und meinen Entschluss über Bord werfen würde. Als die Sonne aufging, hatte ich meine Sachen gepackt. Ich bin hierhergekommen, weil ich gehofft habe, mein Leben ins Lot zu bringen und das wiederzufinden, was ich aus irgendeinem Grund verloren hatte.«
Sie trat ans Bett und setzte sich neben ihre Mutter, die eine Hand auf Berrys Rücken legte und die verspannte Stelle zwischen ihren Schulterblättern zu massieren begann. »Ich bin so stolz auf dich.«
Berry sah sie an und brach in Gelächter aus. »Stolz? Auf mich? Nach allem, was ich dir gerade erzählt habe?«
»Es ist schwer, sich selbst gegenüber so brutal ehrlich zu sein, und noch schwerer, nach dieser Selbsterkenntnis die Konsequenzen zu ziehen und zu handeln.« Caroline drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du hast Oren am Donnerstagnachmittag also angerufen, um dich für die Dinge zu entschuldigen, die du ihm an den Kopf geworfen hattest?«
»Mehr oder weniger. Ich habe ihm auch erzählt, dass Ben und ich gerade letzte Hand an die Kampagne anlegen würden, an der er gearbeitet hatte, als er entlassen wurde. Sie sei ganz hervorragend geworden, und er könne stolz darauf sein, habe ich gesagt.«
»Und wie hat er darauf reagiert?«
»Neutral. Er war ziemlich überrascht. Er hat mir nicht gedroht, hat aber auch nicht gesagt ›Lassen wir die Vergangenheit doch einfach ruhen‹. Stattdessen meinte er nur ›Okay‹ und hat aufgelegt. Und ich dachte, wir wären damit quitt. Zumindest bis auf einmal der Duschvorhang zur Seite gerissen wurde und er vor mir stand.«
»Du hast ihm doch nicht etwa erzählt, dass du und Ben am Freitag hier zusammen arbeiten würdet.«
»Natürlich nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er das Haus und das Büro beobachtet hat. Irgendwie muss er gemerkt haben, dass ich nicht mehr zu Hause war, sondern von einem anderen Ort aus arbeitete. Offenbar ist er Ben gefolgt, als er am Freitagmorgen hierher aufgebrochen ist. Vielleicht hat er auch den ganzen Tag auf dieser Lichtung gestanden, wo die Polizei die Reifenspuren gefunden hat, und darauf gewartet, dass es dunkel wird. Und bis er uns zusammen im Bett erwischt.«
Berry presste sich die Fingerspitzen gegen die Stirn und begann mit kräftigen Bewegungen ihre Kopfhaut zu massieren. »Am meisten setzt mir zu, dass Ben nur angeschossen wurde, weil ich unbedingt versuchen musste, mich mit Oren zu versöhnen.«
»Berry? Wach auf, Schatz!«
Berry drehte sich auf den Rücken und stöhnte, als die Stimme ihrer Mutter sie aus dem Tiefschlaf riss. Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und schlug die Augen auf. Caroline stand in einem kurzen Baumwollnachthemd neben ihrem Bett und beugte sich über sie.
»Wie spät ist es?«
»Viertel nach
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