Blindes Grauen
Hand in seine und drückte ihr einen der Ohrhörer in die Hand. »Sagen Sie mir, ob Sie diese Stimme schon einmal gehört haben.«
Sie steckte sich einen der kleinen Lautsprecher ins Ohr. »Was für eine Zeitverschwendung«, bemerkte sie.
Gooch drückte den Abspielknopf.
Sie runzelte die Stirn und hörte zu. Dann setzte sie sich urplötzlich gerade auf. Sie hob eine Hand vor den Mund und horchte. Dann riss sie sich den Ohrhörer heraus und warf ihn auf den Tisch.
»Mrs Priest?«
Sie atmete schwer, aber nichts bewegte sich, außer ihre Brust. »Mrs Priest, haben Sie diese Stimme schon einmal gehört?«
Sie fuhr mit den Fingern über ihr Gesicht, als wollte sie etwas von ihrer Haut waschen.
»Ma’am.«
Einen Augenblick später verlangsamte sich ihr Atem. Schließlich flüsterte sie: »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Er könnte es sein.«
»Sie sind nicht sicher?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine … er hatte so eine dramatische Stimme. Ein bisschen heiser, wie ein Raucher. Daran erinnere ich mich. Aber war er das hier ganz bestimmt? Ich weiß es nicht. Es ist so lange her.«
»Waren Sie damals bereits blind?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich leide an Makuladegeneration. Ein ungewöhnlich aggressiver Fall. Aber damals konnte ich noch ein wenig sehen.«
»Konnten Sie einen Blick erhaschen auf denjenigen, der Ihre Mutter getötet hat?«
»Nein.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Aber das steht doch sicher in der Akte.«
»Ich habe noch nicht die ganze Akte gelesen«, sagte er.
»Man würde doch denken, dass Sie sich diese Mühe gemacht hätten«, sagte sie.
»Würde man denken, wäre aber falsch«, sagte Gooch. »Ich möchte Ihnen eine Liste von Sachen vorlesen. Sagen Sie mir, ob die Ihnen etwas bedeuten.«
»Ich bin nicht sicher, dass ich das verstehe.«
»Ein Teller.«
Sie runzelte die Stirn.
»Ein Stapel Papier, zusammengeheftet. Vielleicht ein Bericht oder so etwas?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ein kleines Plastikspielzeug mit Wasser darin. Vielleicht ein Mann, der in der Badewanne liegt? Oder ein Vampir?«
»Ich verstehe nicht. Was hat das mit dem Mord an meiner Mutter zu tun?«
»Eine Plastikpuppe mit Haaren, die abstehen. Eine Schlaufe aus Pappe oder Plastik?«
Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.
»Ein Hase.«
Sie runzelte die Stirn.
»Ein ausgestopfter Spielzeughase«, setzte er hinzu.
Sie schaute eine Weile weg, dann steckte sie die Finger unter ihre Brille und wischte sich über die Augen. Ihre Finger waren nass.
»Ein Stoffhase.« Ihre Stimme war dumpf. »Das ist meiner.«
»Das verstehe ich nicht. Ich dachte, Sie hätten diesen Mann nicht gesehen.«
»Er hat ihn mitgenommen«, sagte sie. Er hat gesagt: ›Wenn du jemals jemand was erzählst, dann reiß ich deinem kleinen Hasen den Kopf ab. Und dann kehre ich zurück und reiße auch dir den Kopf ab.‹« Dann runzelte sie noch einmal die Stirn, als wollte sie noch etwas hinzusetzen.
»Und?«
Bevor sie Gelegenheit hatte, ihm zu antworten, öffnete sich die Haustür und ein Mann eilte ins Zimmer. Er war deutlich älter als Lane, aber Gooch hielt ihn trotzdem für ihren Ehemann.
»Hi, Joe«, sagte Lane Priest. Gooch nahm an, dass sie ihn am Klang erkannte. Vielleicht daran, wie er ging? Wie er die Tür öffnete?
»Hi, Süße«, sagte der Mann. Er küsste sie auf die Wange, dann streckte er Gooch die Hand entgegen. »Joe Priest«, sagte er und strahlte breit. Er sah aus wie der Vizepräsident von Kappa Alpha an irgendeiner Südstaatenuniversität. Er hatte große, unschuldig blaue Augen, sandfarbenes Haar, die braungebrannte Lederhaut eines Tennisspielers. Gooch ging davon aus, dass jeder, der finanziell so gut dastand, wie dieser Kerl, eine Menge Schuld hinter seinen unschuldigen Augen verbarg.
Joe Priest war mindestens fünfundzwanzig Jahre älter als seine Frau.
Jetzt kam Gooch drauf. Er hatte schon von diesem Typen gehört. Er war ein schwerreicher Immobilienhändler.
Gooch schüttelte Joe Priest die Hand. »Hank Gooch, Atlanta Police. Ich untersuche den Mord an Kathleen Bolligrew.«
Joe Priests Lächeln verblasste und er schaute besorgt. »Wirklich?«
»Gestern ist eine Dame zu uns ins Büro gekommen und hat behauptet, sie sei Ihre Frau.«
Priest zwinkerte. »Tja, verdammt, das ist komisch.«
»Mmm-hmm.«
Gooch wartete eine Minute, ob Priest die Stille füllte und irgendwelche Informationen anbot. Tat er aber nicht. Er stand einfach nur da und schaute Gooch an.
Schließlich fuhr Gooch fort und
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