Blindes Grauen
Adrenalin verebbte, hungrig wurde. Sie tastete sich zurück in die Küche, öffnete die Kühlschranktür, nahm eines der eingewickelten Sandwiches heraus. Thunfisch.
Dann griff sie nach dem Milchkrug. Gab es überhaupt Gläser? Sie durchsuchte die Schränke über der Spüle. Sie fand einen Plastikbeutel und schüttelte ihn. Kartoffelchips. Davon abgesehen waren die Schränke absolut leer. Sie setzte sich auf den Boden und begann zu essen.
Plötzlich fiel ihr ein, dass Gooch vielleicht anrufen könnte. Sie ging zurück in das andere Zimmer, griff nach dem Telefon, trug es mitsamt der langen Schnur in die Küche, setzte sich wieder und aß. Als sie fertig war, hatte das Telefon noch nicht geklingelt.
»Sind es also drei Anrufe zwischen, sagen wir mal, neun und zehn Uhr?«, fragte sie laut. »Oder sind es drei Anrufe pro sechzig Minuten?«
Die Stimme antwortete nicht.
Sie griff nach dem Telefon und kehrte zurück in das größere Zimmer. Erstaunlich, wie Blindheit die anderen Sinne förderte. Das Gefühl des Teppichs unter ihren Füßen wirkte plötzlich mächtig eindrucksvoll. Es war, als könnte sie jede Faser des Teppichs spüren. Und sie konnte ganz genau den Thunfisch riechen, den sie gerade verspeist hatte.
Und sie roch noch etwas. Aber sie konnte es nicht genau benennen.
Plötzlich klingelte das Telefon. Ihr Herz raste. Sie griff nach dem Hörer.
»Hank?«
»Ich habe gerade mit Lane Priest gesprochen«, sagte Gooch. »Das Mädel, das gestern mit dir geredet hat, war eine Betrügerin. In Wirklichkeit heißt sie Stormé Venda. Letztes Jahr hat sie versucht, Lanes Ehemann zu erpressen.«
»Was hast du noch rausgekriegt?«
»Der Stoffhase«, sagte Gooch. »Lane Priest bestätigt, dass der Mann, der ihre Mutter ermordet hat, in jener Nacht einen Stoffhasen mitgenommen hat. Sie sagt, sie hätte niemals jemand davon erzählt. Wer auch immer dich da hingeschafft hat – sie wissen irgendwas. « »Okay.« »Also, sag mal, kannst du irgendwas hören?«, fragte Gooch.
»Züge, Flugzeuge, die starten, eine Autobahn? Irgendwas, was uns hilft rauszukriegen, wo du steckst?«
»Es ist schalldicht«, sagte MeChelle. »Das Einzige, was ich hören kann, ist eine tickende Uhr. Und es gibt eine Stimme, die zu mir spricht. Ich glaube, sie ist computergesteuert. Sie kommt aus Lautsprechern in der Decke. Es ist dieselbe Stimme wie auf der Aufnahme, die Lane – Stormé-wie-auch-immer – mir vorgespielt hat. Ich glaube, du solltest den Sprecher rauskriegen, der diesen Werbespot gemacht hat. Er muss damit irgendwas zu tun haben.«
»Ich wollte mal versuchen, diese Stormé Venda zu finden«, sagte Gooch.
»Vielleicht hast du, wenn du erst mit dem Sprecher redest, etwas, womit du sie in die Zange nehmen kannst. Oder vielleicht arbeitet sie auch für ihn. Wenn ich du wäre, würde ich zuerst den Sprecher suchen.«
Gooch sagte nichts. »Ihnen bleiben zehn Stunden«, sagte Stimme aus der Decke. »Hank? Hank?« Sie wartete. »Hank?« Das Telefon war tot.
11
Gooch’ erster Impuls wäre gewesen, sich direkt über Stormé Venda herzumachen, aber Joe Priests Leute hatten ihn noch nicht mit den nötigen Informationen zurückgerufen. Und vielleicht hatte MeChelle recht. Dieser Sprecher hatte ganz offensichtlich auch mit der Entführung zu tun.
Er erledigte ein paar Anrufe aus dem Auto, während sie zurück zur Mordkommission fuhren, und schließlich erreichte er die Marketing-Chefin von Wild Adventure, eine Frau namens Eileen Burnside.
»Ich versuche den Namen des Ansagers herauszubekommen, der ihre aktuelle Radiowerbung gemacht hat«, sagte Gooch zu ihr.
»Aus dem Kopf?«, sagte Eileen Burnside. »Ich glaube, der VO-Mann in dem Spot war Damon Fergus.«
»VO?«
»Tut mir leid, in der Branche nennt man sie nicht Ansager. VO steht für voice-over. Deswegen nennen wir sie VO-Männer. Oder Talent. Oder Leser. Oder Sprecher. Oder …«
»Okay, in Ordnung«, sagte Gooch. »Was können Sie mir über ihn erzählen?«
»Tolle Röhre, oder?«, sagte sie. »Der Kerl klingt wie die Stimme Gottes. Geben Sie mir einen Moment, dann suche ich Ihnen seine Telefonnummer raus.«
Gooch hörte sie an ihrem Computer oder auf ihrem Organizer tippen. Dann nannte sie ihm die Nummer.
Als Gooch auf die Wache kam, verkündete ihm die Abteilungssekretärin: »Major Hicks will Sie in seinem Büro sehen.«
Gooch wandte sich um und ging erst einmal hoch in die Personalabteilung; er ließ seine Ausweismarke drucken und holte sich seinen offiziellen
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