Blindes Grauen
verloren, es hatte niemals einen nackten Augenblick zwischen ihnen gegeben. Nicht einen Einzigen.
Sie hatte einen Scherz gemacht, als sie sagte, dass er ihr Angst einjagte. Aber echt, jetzt, wo sie darüber nachdachte: Er sollte sich heute besser zusammenreißen.
31
Gooch fand nur einen Eintrag für eine Grace Wadell im Telefonbuch. Man konnte nicht wissen, ob es die Richtige war oder nicht. So viele Jahre später konnte sie umgezogen sein, geheiratet haben, einen anderen Namen tragen … Er wählte die Nummer, es ging aber niemand ran.
Vom Rücksitz des Wagens aus, der Gooch zurück zum Restaurant fuhr, rief er Cody Floss an und bat ihn, Grace Wadell im Computer nachzuschlagen.
»Da ist nichts, Sir.«
»Was ist mit Nathan Morris?« Gooch wartete, er hörte Tasten klicken.
»Ja, okay, Sir.«, sagte Cody schließlich. »Ich habe hier einen Nathan Morris. Er ist auf Bewährung draußen.«
»Wofür hat er gesessen?«
»Betrug. Eine Menge Buchhaltungstricks. Als aktueller Arbeitgeber ist hier NHM Research an der Ecke Peachtree/Lenox genannt, direkt gegenüber vom Einkaufszentrum.«
»Gib mir die Adresse.«
Ein paar Minuten später marschierte Gooch durch goldverzierte Glastüren in das Büro von NHM Research. Es war ein kleines Büro im neunten Stock eines Bürohauses mitten in Buckhead. Im Empfangsbereich standen Möbel, die auf den ersten Blick teuer und antik aussahen. Aber wenn man genauer hinschaute, wurde klar, dass alles in diesem Zimmer bloß billige Reproduktionen waren, Furnier und Spanplatten.
Der junge Mann, der am Empfangstresen saß, sah – trotz seiner Krawatte und des gebügelten weißen Hemdes – eher wie ein Türsteher aus, als wie ein Rezeptionist. Er war groß und muskulös, und sein Kopf war kahl rasiert. In seinem Blick lag eine kämpferische Aufmerksamkeit, die nicht wirklich zu seiner Kleidung oder der Umgebung passte.
»Ich muss mit Mr Morris reden«, sagte Gooch und versuchte zu lächeln.
»Worum geht es dabei, Sir?«, fragte der junge Mann.
»Es geht dabei darum, dass ich mit ihm reden muss.« Gooch legte seine Marke auf die Schreibtischoberfläche.
Der junge Mann griff nach dem Telefon. Er trug ein langärmeliges Hemd, aber als er den Arm ausstreckte, kroch ein grobschlächtiges grünes Tattoo unter dem weißen Stoff hervor. Ganz sicher aus dem Knast.
»Sie müssen ihn nicht anrufen«, sagte Gooch. »Ich geh einfach nach hinten zu ihm. Dauert keine Minute.«
Der kräftige junge Mann sah ihn mit steinernem Gesicht an. »Sir, haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
Gooch zog die Augenbrauen hoch. »Also! Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt. Sie sind aber ganz schön zackig zum Thema Durchsuchungsbefehl gekommen.«
»Sir, haben Sie einen Durchsuchungsbefehl, oder nicht?«, wiederholte der Mann.
Gooch lächelte weiter. »Wissen Sie, junger Mann, es verstößt gegen Ihre Bewährungsauflagen, für einen verurteilten Straffälligen zu arbeiten. Ihnen ist doch bewusst, dass Mr Morris vorbestraft ist, oder nicht? Ich würde Sie sehr ungern deswegen in Gewahrsam nehmen müssen.«
Immer noch kein anderer Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Mannes.
»Ich bin nicht auf Bewährung. Oder vorzeitig entlassen. Sie können mir gar nichts. Wenn Sie also keinen Durchsuchungsbefehl haben, gehen Sie, Sir.«
Gooch schaute dem jungen Mann in die Augen. Dessen Blick flackerte nicht einmal. Er war offensichtlich ziemlich cool drauf und ließ sich nicht leicht einschüchtern. »NHM Research?« Gooch deutete auf die Goldbuchstaben an der Wand über dem Kopf des jungen Mannes. »Was für Untersuchungen führen Sie eigentlich durch?«
»Investments«, sagte der junge Mann.
»Einer dieser boiler rooms, hmm? Dahinten verklitschen lauter Schwätzer am Telefon wertlose Aktien an alte Damen in Miami?« Gooch näherte sich dem Eingang zu den hinteren Räumen.
»Machen Sie nur, Sir«, sagte der Kahlkopf. »Versuchen Sie’s. Als Erstes verständige ich unseren Anwalt. Er sitzt etwa zehn Meter von uns entfernt, wird also keine großen Schwierigkeiten haben, zu beobachten, wie Sie Hausfriedensbruch begehen. Es wird Sie sicher beruhigen, zu erfahren, dass wir eine Überwachungskamera im Einsatz haben, deren Aufzeichnung als Beweismittel bei allen folgenden Gerichtsverfahren eingesetzt werden kann. Und als Zweites werde ich mit größtem Vergnügen Ihren Bullenarsch zur Tür rausbefördern.«
Gooch konnte spüren, dass der junge Mann nicht bluffte. Was hieß, dass er Morris irgendwie hier
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