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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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nichts wird.«
    Die junge Frau griff nach ihrer Axt, drehte sie geschmeidig in der rechten Hand, ihr Körper freute sich bereits darauf, die beruhigende Arbeit des Baumfällens wieder aufzunehmen. Gooch hätte einfach den ganzen Tag hier sitzen und ihr zuschauen können. Nicht nur, weil sie nett anzuschauen war. Sondern vor allem, weil … Also … Er hätte es ihr nicht wirklich erklären können. Sie hätte es falsch verstanden.
    Schwester Grace schaute ihn eigenartig an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Tut mir leid«, sagte sie.
    »Was denn?«
    Sie schaute ihn weiter an. »In ihrem Blick liegt etwas sehr Trauriges. Das ist mir zuerst nicht aufgefallen.«
    Darauf wusste Gooch keine Antwort. Er sah auf die Uhr.
    »Verdammt. Ich muss weiter«, sagte er.
    »Warum sind Sie so traurig, Detective?«
    »Hm?«, fragte Gooch.
    »In Ihrem Blick«, sagte sie. »Ich kann die Trauer in Ihrem Blick sehen.«
    »Ich habe meine Tochter verloren«, sagte er. Es kam heraus, bevor er es verhindern konnte. »Sie kommt mir in letzter Zeit oft in den Sinn.« Er war nicht sicher, warum er das gesagt hatte. Das war gar nicht typisch für ihn. Er kam sich dumm vor. Beinahe nackt. Also wandte er sich abrupt ab und ging davon.
    »Ich werde ein Gebet für sie beide sprechen!«, rief sie ihm hinterher.
    Eigenartig, dachte er.
    Er hatte mit den Jahren natürlich immer wieder mal Leute über ihn reden hören. Sie hatten stets gesagt, wie kalt sein Blick war. Aber dieses Mädchen hatte etwas anderes gesehen.
    Hatte sich etwas in ihm verändert? Oder war ihre Wahrnehmung anders als die der anderen?
    Im Gehen hörte Gooch das methodische Hack-Hack-Hack der Axt erneut beginnen. Gerade als er in seinen Wagen steigen wollte, folgte ein kräftiges Knarren, und der Baum begann zu fallen. Dann bebte die Erde unter seinen Füßen, als der Baum auf dem Boden aufschlug.

35
    Wo kommt das her, MeChelle?«, fragte Gooch.
    »Was?«
    »Die ganze Trauer?«
    »Gehört das zu deinem Plan, mich hier rauszuholen?«, fragte MeChelle. »Oder plaudern wir einfach nur?«
    Es wurde still in der Leitung. MeChelle konnte die Uhr ticken hören – wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Was war mit Gooch nur los? Er schien ein anderer Mensch zu sein als derjenige, mit dem sie noch vor sechs Monaten zusammengearbeitet hatte.
    »Ich meine, irgendwas stinkt an diesem King. Es sieht aus, als hätte er eine Beziehung zu dem Opfer unterhalten. Aber ich weiß einfach nicht, wo wir als Nächstes hinsollten? Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir weitermachen könnten. Ich meine, er wird nicht einfach gestehen. Das wissen wir.«
    »Der Schlüssel muss irgendwo hier im Zimmer sein. Oder?«
    »Sicher«, sagte Gooch. Aber aus irgendeinem Grund klang es so, wie er es sagte, nicht sonderlich zuversichtlich.
    Tick. Tick. Tick. Plötzlich war MeChelle richtig wütend.
    »Ver dammt noch mal, Hank!«, schrie sie. »Lass mich jetzt nicht hängen! Wir haben noch über vier Stunden. In vier Stunden können wir eine Menge schaffen.«
    »Mein Vater hat mir den Hintern versohlt, dass es heute keiner mehr glauben würde«, sagte Gooch. »Ich habe mir geschworen, das meinem eigen Fleisch und Blut niemals anzutun. Und ich habe mich daran gehalten.«
    MeChelle runzelte die Stirn. »Was redest du da eigentlich?«
    »Ich weiß auch nicht.«
    Es klickte, die Leitung war tot.
    »Scheiße!« MeChelle rieb an ihren Augen herum, eine panische Welle der Angst stieg in ihr auf. Sie musste wieder sehen. Jetzt. Sie musste. Sonst würde sie durchdrehen. Vielleicht sollte sie einfach die Haut abreißen, die Augenlider, einfach ausreißen? Sie zog mit den Fingern an ihren Augenlidern, zerrte heftig daran. Ein Schmerzstrahl fuhr ihr durch die Augen.
    Nein. Mit der Ruhe. Entspann dich. Auch auf ihren Augäpfeln war Kleber, da war sie ziemlich sicher. Wenn sie weiter daran herumzog, würde sie wahrscheinlich für immer blind bleiben. Vielleicht später, wenn die Verzweiflung größer wäre. Aber jetzt noch nicht.
    Das Telefon klingelte wieder.
    Sie nahm ab. »Hank?«
    Die Leitung blieb still. Sie konnte ihn atmen hören.
    »Hank, um Gottes willen, wir haben drei Anrufe diese Stunde. Warum verschwendest du die? Es geht um mein Leben! «
    Gooch sagte immer noch nichts. Aber sie war sicher, dass er es war. Ganz sicher.
    »Hank, drehst du jetzt komplett durch? Du musst dich verdammt noch mal zusammenreißen!« Sie war von sich selbst ein wenig entsetzt. So redete man einfach nicht mit einem alten Bullenhasen wie Hank

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