Blindes Grauen
stand man im Regen und regelte den Verkehr oder stoppte Leute, die in einer Dreißiger-Zone vierzig fuhren. Aber wieso sollte er ihnen den Spaß verderben.
Die beiden jungen Männer tanzten noch ein Weilchen, dann sagte Walter: »Wurde wirklich eine Polizistin entführt?«
Gooch nickte. »Sie ist meine Freundin, ja.«
»Verdammt.« Plötzlich richteten sich die beiden jungen Männer auf und schauten betrübt auf die Stockwerksanzeige, die Zahlen wurden kleiner und kleiner.
Als die Türen sich öffneten, sah Raymondo Walter an und sagte: »Was meinst du, würde mein Alter sagen, wenn ich ihm erzähle, dass ich die Uni hinschmeiße und mich bei der Polizeiakademie anmelde?«
»Sagen? Nein, Mann, er würde was tun. Er würde nämlich die nächste Lampe nehmen und dir auf den Schädel donnern.«
Raymondo seufzte. »Ja. Ja, da hast du wahrscheinlich recht.«
47
Das Telefon klingelte erneut.
»Hank?«
Diesmal war Hanks Stimme deutlich zu hören, ohne Aussetzer. »Ich bin’s.«
»Ich habe etwas rausgefunden«, sagte MeChelle eilig. Man konnte nicht wissen, wie lange die Leitung durchhielt. »Der Vertrag für den Treuhänderfonds ist hier. Und rate mal, wer der ursprüngliche Treuhänder war? Joe Priest. Lane Bolligrews Ehemann.«
»Priest? Er war ihr Anwalt? Als Kind?«
Es folgte eine kurze Pause.
»Er hat das Geld geklaut«, sagte MeChelle dann.
»Was?«
»Überleg mal. Wieso würde ein über Fünfzigjähriger eine zweiundzwanzigjährige Blinde heiraten? Er hat das Geld unterschlagen und wollte nicht, dass sie es rauskriegt. Also hat er sie geheiratet.«
»Hmm«, machte Gooch.
»Es ist das Einzige, was einen Sinn ergibt.«
Gooch sagte: »Eigenartig. Ich war gerade in seiner Kanzlei.«
»Was hast du rausbekommen?«
Ein kurzes Zögern. »Ist jetzt egal.«
»Was?«, fragte sie.
»Nichts.«
»Du musst diesen Priest unter die Lupe nehmen. Findest du nicht, dass die Sache stinkt? Er ist Treuhänder für das Vermögen, und plötzlich heiratet er das Mädchen, das alles erbt?«
»Kommt mir komisch vor.«
»In dem Vertrag sind Buchprüfungen vorgesehen. Wenn irgendetwas auffällig daran war, wie Joe Priest das Geld verwaltet hat, müsste die Buchprüferin dir das sagen können. Oder? Sie heißt Leslie Bell. Sie ist bei KPMG Peat-Marwick.«
»MeChelle, uns läuft die Zeit davon. Ich muss ein paar schwierige Entscheidungen treffen.«
»Was denn?«
Eine lange Pause.
»Hank?«, fragte MeChelle. Aus irgendeinem Grund ging ihr Puls schneller. »Hank, was hast du bei deinem letzten Anruf gesagt? Du warst sehr schlecht zu verstehen.«
Wieder eine lange Pause.
»Hast du irgendetwas über Liebe gesagt?« MeChelle fühlte sich plötzlich ganz komisch, sehr unsicher. »Ich meine, vielleicht ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt aber …«
»Halt durch«, sagte Gooch schließlich. »Ich hol dich da raus.«
Die Leitung war tot. War die Minute vorüber? Oder hatte Hank einfach aufgelegt? Verdammt! Sie wollte mit ihm noch über Sachen reden. Wieso hatte sie überhaupt mit Liebe angefangen? Liebe? Also wirklich! Sie hatte es mit Hank Gooch zu tun. Ein erstklassiger Redneck, der das Wort Liebe keine dreimal im Leben über die Lippen gebracht hatte. Sie bildete sich einfach nur irgendwas ein.
»Okay«, sagte sie zu dem Stillen Mann, »noch mal von vorne. Ich habe sechs Sachen auf dem Tisch. Was kannst du mir über die sagen?«
Aber der Stille Mann sagte nichts.
48
Wen rufen Sie an?«, fragte Raymondo. Er fuhr zurück zur University, wo Gooch seinen Wagen hatte stehen lassen.
»Die Entführte. Sie heißt MeChelle Deakes.«
»Moment! Sie wurde entführt … aber Sie können mit ihr sprechen?«
»Lange Geschichte«, sagte Gooch.
Der dicke Hummer hielt neben Gooch’ Wagen. »Und«, fragte Walter, »was machen wir jetzt?«
»Wir?«, fragte Gooch.
»Hey, Mann!«, sagte Raymondo. »Komm uns nicht so! Wir wollen noch was helfen!«
Gooch hatte keine Zeit, mit ihnen rumzudiskutieren. Er kletterte aus dem Hummer.
»Moment!«, rief Walter. »Warten Sie, Sie brauchen uns!«
»Nein«, sagte Gooch. Dann stieg er in seinen Wagen.
Walter hielt etwas zum Fenster heraus. Eines dieser kleinen Elektrodinger, mit denen jeder Idiot bei der Polizei heutzutage herumwirbelte. Ein BlackBerry oder irgend so was. Der Junge kurbelte mit der Hand durch die Luft: Gooch sollte sein Fenster öffnen.
»Was?«, fragte Gooch, nachdem er das Fenster zehn Zentimeter heruntergelassen hatte.
»Die Adressen. Wir können Karten für Sie
Weitere Kostenlose Bücher