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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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hören. Es war genau wie in dem Traum, den er in letzter Zeit träumte. Das Geräusch, das er hörte, wenn seine Tochter nach ihm rief. Es machte ihn unsicher.
    Er ging hinter ihr her, blieb stehen, legte die Arme über Kreuz.
    Gib mir einen Grund, dachte er, war allerdings gar nicht sicher, warum er so wütend auf diese im Grunde eher lächerliche Frau war.
    »Ich habe nichts zu sagen«, verkündete sie schließlich. Unter Stress nahm ihr Akzent zu, man konnte jetzt die Redneck-Abstammung aus Süd-Georgia hören. Sie war nicht anders als er. »Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie meinen Anwalt an.«
    »Wer wäre das?«
    »Andre Weiss. Bei Schumacher, Dillman und Priest.«
    »Das habe ich mir gedacht«, sagte Gooch. Er rührte sich nicht. Der Wind raschelte und knatterte teilnahmslos durch den Bambus.
    »Lassen Sie mich in Ruhe!«, forderte Leslie Bell schließlich.
    »Nicht, bis Sie mir sagen, warum sie umgebracht wurde.«
    Leslie Bell quetschte sich in den Bambushain hinein, langsam arbeitete sie sich tiefer und tiefer zwischen die grünen Halme. Gooch konnte das Geräusch kaum ertragen. Aber er musste etwas aus ihr herauskriegen. Also folgte er ihr. Der Bambus wurde immer dichter, und er musste sich hindurchzwängen.
    Schließlich erreichte Leslie Bell einen Holzzaun und kam nicht mehr weiter. Sie hielt an und blieb stehen, ihre Nase berührte beinahe das moderige Holz.
    »Bitte«, sagte sie schließlich.
    Der Wind fuhr weiter durch den Bambus. Gooch konnte die Gänsehaut auf seinen Armen spüren. Er war nicht sicher, wie lang er es hier drin aushalten würde.
    »Was hat Joe Priest Ihnen angeboten?«, fragte er.
    Sie zitterte jetzt wie ein Hund, der sein Leben an einer Kette verbracht hatte und regelmäßig getreten wurde.
    »Zehn Prozent? Fünfzehn?« Sie sagte nichts.
    »Nein, es stimmt nicht, oder? Ich wette, er hat Ihnen gar nichts gegeben, oder? Vielleicht ein paar vage Versprechen?«
    Ihre Stimme, als sie etwas sagte, war leise und stumpf. Keine Uni mehr, keine Studentenverbindung, kein Vanderbilt. »Damals war er mit seiner ersten Frau verheiratet«, sagte sie. »Er hat mir versprochen, wenn er sie verlässt …«
    Gooch wollte nichts mehr, als aus dem Bambus rauszukommen. Aber er wusste, wenn er ihr jetzt und hier nicht zuhörte, bekäme er keine zweite Chance. »Wie auch immer, er hat nichts gestohlen. Es war nur ein … Kredit.«
    »Er hat das Geld genommen.«
    »Nein! Joe wollte ein Grundstück bebauen. Er war damals Immobilien-Anwalt. Erfolgreich, ja, aber trotzdem kriegte er bloß Stundensatz, verstehen Sie? Er kriegte bloß Kleingeld von all diesen Baulöwen. Also wollte er mitspielen. Er fand ein Grundstück. Das war damals, als es in der Stadt anfing so richtig loszugehen. Er wollte auf einem ehemaligen Industriegelände Lofts bauen. Aber dazu brauchte er fünf Millionen Dollar. Er hat das Projekt einer Reihe Investoren vorgestellt, und die haben alle abgewunken. Sie hatten keinen Blick dafür. Sehen Sie, er wusste, wie es laufen würde. Aber er konnte es einfach nicht hinkriegen.
    Gleichzeitig hat er als Gefälligkeit für einen Mandanten einen Treuhänderfonds eingerichtet. Das war nicht mal sein normales Arbeitsgebiet. Aber der alte Morris, Kathleen Bolligrews Vater, kannte Joe von früher, also bat er ihn, den Fonds zu organisieren. Als Morris starb, hatte Joe einen Haufen Geld, für das er verantwortlich war. Und es brachte ihn um. Also hatte er eine Idee. Er benutzte das Geld, um einen Kredit abzusichern.«
    Gooch verstand nicht viel von Immobilien. Aber er wusste, dass man nicht einfach das Geld von jemand anders beleihen konnte.
    »Einmal im Jahr wurde beim Fonds eine Buchprüfung durchgeführt«, berichtete sie. »Ich musste einfach nur ein bisschen Papierkram überblättern. Es verschwand kein Geld von den Konten oder so. Es waren bloß Unterlagen. Pfandverschreibungen, Kreditvereinbarungen, Zurückleasingverträge. Die ganze Geschichte war so komplex, dass ich es selbst nie ganz verstanden habe.«
    »Und Sie haben es auch nicht versucht«, sagte Gooch. »Oder?«
    Sie antwortete nicht.
    »Hat Kathleen Bolligrew es rausbekommen?«, fragte Gooch. »Ist sie deswegen ermordet worden?«
    Der Wind war abgeflaut, und es war still geworden.
    Schließlich sagte Leslie Bell: »Das weiß ich nicht.«
    »Ob sie es herausbekommen hat? Oder ob sie deswegen ermordet wurde?«
    Leslie Bell seufzte. »Okay, okay, okay. Sie hat es rausgekriegt, ja. Das war sogar meine Schuld. Wir hatten einen Termin, um die

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