Blindlings
und wußte plötzlich, daß Graham mir nie erzählen würde, was Cooke gesagt hatte - er war tot. Ich schloß seine starr gewordenen Augen und erhob mich. »Ich muß dringend mit Cooke sprechen.« »Er ist tot«, flüsterte Elin erschreckt. Graham war tot - ein Bauer, der plötzlich vom Schachbrett gefegt worden war. Er war gestorben, weil er blindlings Befehle befolgt hatte, genau wie ich damals in Schweden. Er war gestorben, weil er überhaupt nicht begriffen hatte, was er tat. Cooke hatte ihm befohlen, etwas zu tun, er hatte es versucht, es war ihm mißlungen, und das hatte ihn das Leben gekostet. Mir war ebenfalls nicht ganz klar, welche Rolle ich übernommen hatte – jetzt wollte ich wenigstens versuchen, keinen Fehler zu machen.
Tränen quollen aus Elins Augen und rollten über ihre Wangen. Sie schluchzte nicht, sondern stand nur lautlos weinend da und starrte auf Grahams Leiche. »Du brauchst nicht um ihn zu trauern – er wollte dich umbringen, du hast es selbst gehört«, fuhr ich sie an. Als sie sprach, war sie ruhiger, nur kamen noch immer Tränen aus ihren Augen: »Ich weine nicht wegen Graham«, murmelte sie traurig, »deinetwegen.
Einer muß es doch tun.«
2
Wir räumten unser Nachtlager hastig zusammen und verstauten alles im Land-Rover, wobei ›alles« auch Grahams Leiche einschloß.
»Wir können ihn nicht hier lassen«, sagte ich. »Irgend jemand wird mit Sicherheit über ihn stolpern - allerspätestens innerhalb der nächsten Woche. Wie heißt es noch mal so schön
»wir werden die Eingeweide ins Nebenzimmer schleppen‹.«
Elin lächelte schwach über die Anspielung. »Wohin denn?«
»Zum Dettifoss«, sagte ich. »Oder vielleicht zum Selfoss.«
Wenn es uns gelang, die Leiche in zwei der größten Wasserfälle Europas purzeln zu lassen, dann wäre sie anschließend bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und mit etwas mehr Glück als Verstand würde auch niemand mehr feststellen können, daß der Tote erstochen worden war. Man würde annehmen, daß es sich um einen Touristen handelte, der einen tödlichen Unfall gehabt hatte. Wir deponierten Grahams Leiche hinten im Land-Rover.
Ich nahm den Remington-Karabiner und blickte Elin an: »Laß mir eine halbe Stunde Zeit, dann komm so schnell wie möglich angefahren.«
»Ich kann nicht schnell fahren und gleichzeitig geräuschlos sein«, wandte sie ein.
»Du brauchst nicht leise zu sein – fahr einfach, so schnell du kannst, auf den Eingang zu und schalte die Scheinwerfer ein.
Dann verlangsame das Tempo ein bißchen, damit ich aufspringen kann.« »Und dann?«
»Dann fahren wir zum Dettifoss - aber nicht auf der Hauptstraße. Wir benutzen den Fahrweg auf der westlichen Flußseite.«
»Was hast du mit Cooke vor? Willst du ihn umbringen?«
»Vielleicht bringt er mich vorher um«, erwiderte ich. »Man darf sich über Cooke keine Illusionen machen.« »Keinen Mord mehr, Alan«, flehte sie. »Bitte - keinen Mord mehr!«
»Das habe ich nicht in der Hand. Wenn er auf mich schießt, schieß ich zurück.« »Na gut«, sagte sie leise.
Ich verließ sie und machte mich zum Eingang von Asbyrgi auf. Lautlos schlich ich den Fahrweg entlang und betete, daß Cooke nicht auf die Idee gekommen war, nach Graham Ausschau zu halten. Ich hielt es nicht für wahrscheinlich.
Sicherlich hatte er den Schuß gehört, aber er hatte ihn vermutlich auch erwartet. Da er damit rechnen mußte, daß Graham eine halbe Stunde für den Rückweg brauchte, nachdem er das Päckchen gefunden hatte, erwartete Cooke nach meiner Schätzung Graham nicht vor einer Stunde zurück.
Ich kam schnell voran, verlangsamte jedoch das Tempo, als ich mich dem Zugang näherte. Cooke hatte es nicht für nötig gehalten, seinen Wagen zu verstecken. Er wußte, was er tat, wenn er völlig ungeniert und für alle sichtbar parkte. Die kurze nordische Sommernacht war fast vorüber, und der Himmel war schon hell, und es war demnach unmöglich, nahe an den Wagen heranzukommen, ohne gesehen zu werden.
Ich verbarg mich hinter einem Felsen und wartete auf Elin.
Ich war nicht gerade wild darauf, mich ungeschützt vorwärtszubewegen, nur um von einer Kugel getroffen zu werden.
Endlich hörte ich Elin kommen, und ich bemerkte, wie sich im Innern des parkenden Wagens etwas rührte. Ich preßte die Wange gegen den Kolben des Karabiners und zielte. Der Profi Graham hatte das Visier mit Leuchtfarbe betupft, doch wäre es in der Morgendämmerung auch ohne das gegangen.
Ich zielte auf die Fahrerseite.
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