Blindlings
hielten wir bei der Schutzhütte an, direkt unter dem hoch aufragenden Schildvulkan, den man Herdubreid oder ›Breite Schultern‹ nannte. Wir waren beide müde und hungrig, und Elin fragte: »Können wir heute nicht einfach hier bleiben?« Ich blickte zur Hütte hinüber. »Nein.
Möglicherweise erwartet jemand, daß wir genau das tun. Wir fahren noch ein bißchen weiter in Richtung Askja. Aber essen können wir hier.«
Elin bereitete eine Mahlzeit, die wir vor der Hütte im Freien einnahmen. Ich wollte gerade in ein Hering-Sandwich beißen, als mir schlagartig eine Idee kam. Ich besah mir den Antennenmast neben der Hütte und die Wagenantenne am Land-Rover. »Elin, man kann doch Reykjavik von hier aus erreichen? Ich meine, telefonisch?« Elin blickte auf.
»Natürlich. Wir nehmen mit Gufunes Radio-Kontakt auf, und sie verbinden uns mit dem Telefonnetz.«
»Was für ein Glück«, schwärmte ich träumerisch, »daß die transatlantischen Kabel durch Island laufen. Wenn man uns ins Telefonnetz einschalten kann, dürfte es auch kein Problem sein, uns mit London zu verbinden.« Ich deutete auf den Land-Rover, dessen Funkantenne sich sachte in der Brise bewegte.
»Und das von hier aus.« »Das hat noch niemand ausprobiert«, meinte Elin zweifelnd. Ich aß mein Sandwich auf. »Warum sollte es nicht klappen? Nixon hat ja auch mit Neu Armstrong auf dem Mond gesprochen. Die technischen Hilfsmittel haben wir hier auch, wir brauchen uns ihrer bloß zu bedienen. Kennst du jemand im Telefondepartment?« »Ich kenne Svein Haraldson«, entgegnete sie nachdenklich.
Ich wäre jede Wette eingegangen, daß sie jemanden im Telefondepartment kannte; in Island kennt jeder jeden. Ich kritzelte eine Nummer auf einen Fetzen Papier und reichte ihn ihr.
»Das ist die Nummer in London. Ich möchte Sir David Taggart persönlich sprechen.«
»Und was, wenn dieser… Taggart den Anruf nicht entgegennimmt?«
Ich grinste. »Ich habe das Gefühl, daß Sir Taggart im Augenblick jeden Anruf entgegennimmt, der aus Island kommt.«
Elins Blick wanderte zum Antennenmast. »Das große Gerät in der Hütte wird uns die Verbindung erleichtern.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das darfst du nicht benutzen -
möglicherweise läßt Cooke die Telefonleitungen abhören. Er kann von mir aus belauschen, was ich Taggart zu sagen habe, aber er darf nicht wissen, woher ich spreche. Ein Anruf aus dem Land-Rover kann von überallher kommen.«
Elin ging zum Wagen, schaltete das Funktelefon ein und versuchte, Gufunes zu erreichen.
Alles, was sie dem Gerät entlocken konnte, war ein einziges Geknatter. Dann und wann wurde es von einem geheimnisvollen Geräusch unterbrochen, das sich anhörte wie das gespenstische Klagen verdammter Seelen, die sich nicht mehr verständlich machen können. »Es muß Sturm in den Bergen im Westen sein«, sagte
Elin. »Soll ich es mit Akureyri versuchen?« Das war die nächste der vier Funktelefonstationen. »Nein«, erwiderte ich.
»Wenn Cooke überhaupt abhört, dann wird er sich auf Akureyri konzentrieren. Versuch es mit Seydisfjördur.«
Die Verbindung mit Seydisfjördur in Ostisland kam überraschend leicht zustande, und bald sprach Elin über die Landleitung nach Reykjavik mit ihrem Freund Svein. Er machte einige Einwände und schien alle möglichen Bedenken zu haben, aber sie setzte ihren Kopf durch. »Man muß mit einer Stunde Verzögerung rechnen«, verkündete sie.
»Das macht nichts. Bitte Seydisfjördur, sich mit uns in Verbindung zu setzen, wenn der Anruf durchkommt.« Ich blickte auf meine Uhr. In einer Stunde würde es in England 15.45 Uhr sein - eine gute Zeit, um Taggart zu erreichen.
Wir packten zusammen und fuhren in südlicher Richtung auf den Vatnajökull zu, dessen Eiskuppe im Licht schimmerte. Ich ließ den Empfänger angeschaltet, dämpfte jedoch die Lautstärke, so daß nur ein leises Ge-babbel zu hören war. »Was hast du davon, wenn du diesen Taggart sprichst?« fragte Elin.
»Es ist Cookes Boß«, erklärte ich. »Er kann mir den Kerl vom Halse schaffen.«
»Aber meinst du, das tut er?« fragte sie. »Du solltest doch das Päckchen übergeben, und das hast du nicht getan. Du hast dich den Befehlen widersetzt. Taggart wird das gar nicht mögen.«
»Ich glaube nicht, daß Taggart weiß, was sich hier abspielt.
Er hat bestimmt keine Ahnung, daß Cooke versucht hat, mich und dich umzubringen. Ich vermute, daß Cooke auf eigene Faust und eigenes Risiko handelt. Ich kann mich natürlich täuschen,
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